: Ein Land zum Abhauen
aus Chișinău BARBARA OERTEL
Das Gesicht des Mannes, der im Zentrum von Chișinău Schachspielern zusieht, verzieht sich. „Früher haben wir hier in Moldau besser gelebt, als in vielen anderen Republiken der Sowjetunion. Jetzt geht es immer weiter bergab, da können Sie fragen, wen Sie wollen“, sagt er.
Die Stimmung im Land ist mies. Einer Umfrage zufolge, die das unabhängige, moldauische Institut für Meinungs- und Marktforschung (CSOP) im Januar durchführte, vertrauen 48 Prozent der Befragten überhaupt keinem Politiker, 79 Prozent wähnen Moldau auf einem schlechten Weg, und 46 Prozent sind der Meinung, dass sich die allerkorruptesten Gestalten in den höchsten Etagen der Verwaltung tummeln. 36 Prozent würden das Land gern zeitweilig verlassen. Und ein Viertel würde ihm am liebsten für immer den Rücken kehren.
Keine guten Voraussetzungen, ein derart frustriertes Volk an die Urnen zu bitten. Und doch: Am kommenden Sonntag wird in Moldau gewählt. Dann sind rund 2,5 Millionen Stimmberechtigte aufgerufen, ein neues Parlament zu bestimmen. 12 Parteien, 5 Wahlblöcke und 10 unabhängige Kandidaten konkurrieren um die 101 Mandate. Hoffnungen, die Sechsprozenthürde zu nehmen, können sich aber nur fünf Gruppierungen machen: außer den Kommunisten und der nationalistischen Christlich-Demokratischen Partei liegen, in der Mitte des politischen Spektrums, noch die Partei der Wiederauferstehung und Versöhnung Moldaus, die Demokratische Partei sowie eine quasi über Nacht zusammengezimmerte Allianz des amtierenden Regierungschefs Dumitru Braghis gut im Rennen.
Angesichts der Vielzahl der Parteien mit teilweise fast gleich lautenden Namen haben die meisten Wähler die Orientierung längst verloren. „Die Stimmzettel sehen aus wie Menüs eines zweitklassigen Restaurants“, sagt ein Wahlbeobachter. „Es wird Vogelmilch angeboten, stattdessen bekommt man Maisbrei und Eiskrem, die das Verfallsdatum bereits überschritten haben.“
Den Kommunisten sagen Meinungsforscher 40 Prozent Zustimmung voraus. Damit könnten sie erstmals seit der Unabhängigkeit Moldaus 1991 die Mehrheit im Parlament stellen. „Wir sind keine Partei von gestern“, sagt Vadim Mischin mit Nachdruck, dessen mausgrauer Anzug eher an Modelle aus sowjetischer Produktion von vorgestern erinnert. Der kommunistische Vizepräsident des Parlaments rattert das Programm herunter, das die Moldau in eine bessere Zukunft führen soll. „Wir sind allen Eigentumsformen gegenüber aufgeschlossen, auch dem Privateigentum. Zwar hat sich unserer Meinung nach die sowjetische Arbeitsorganisation in der Landwirtschaft als hervorragend erwiesen. Aber wir werden die Bauern nicht wieder mit Gewalt in die Sowchosen und Kolchosen zwingen“, sagt er. „Vor uns muss sich keine Gesellschaftsschicht fürchten.“ Wer jedoch gesetzeswidrig privatisiert und sich dadurch bereichert hat, darf kaum auf Nachsicht von Lenins Urenkeln hoffen. „Diese Leute werden wir zur Verantwortung ziehen“, sagt Mischin.
Derlei Entschlossenheit findet vor allem bei Rentnern Gehör. Doch nicht nur bei ihnen. Mit ihrer Ankündigung, im Falle eines Wahlsieges neben Rumänisch Russisch als zweite Amtssprache einzuführen, punkten die Kommunisten vor allem bei Russen und Ukrainern – auch bei den jüngeren. Beide Gruppen stellen immerhin rund ein Viertel der Bevölkerung. Und vielen von ihnen steht eine von nationalistischen, aber auch einigen gemäßigten Parteien propagierte Vereinigung mit dem benachbarten Rumänien nach wie vor als Schreckgespenst vor Augen.
Für Valeri Matei, Chef der Partei der Demokratischen Kräfte, die den Wiedereinzug ins Parlament diesmal knapp verpassen könnte, ist der Zuspruch für die Kommunisten alles andere als erstaunlich. „Auch wenn sie sich Demokraten nennen, herrschen immer dieselben ehemaligen ZK-Sekretäre. Folglich kennt Moldau bis heute keine richtige Demokratie. Für die Menschen hier ist Demokratie gleichbedeutend mit Armut. Darauf setzen die Kommunisten.“
Und das nicht ganz zu Unrecht. Denn der Alltag im ärmsten Land Europas, das mit 1,5 Milliarden Dollar Auslandsschulden praktisch bankrott ist, sieht für die meisten Menschen düster aus. Bei Gehältern von umgerechnet 40 Dollar und Renten von 8 Dollar, wenn sie denn ausgezahlt werden, leben 75 Prozent der Bevölkerung offiziellen Angaben zufolge unter der Armutsgrenze. Sogar in der Hauptstadt Chișinău hat die Mehrheit der Haushalte kein warmes Wasser. Vielen droht eine Strom- und Gassperre, weil sie die Rechnungen nicht bezahlen können.
„In diesem Land gibt es keine Zukunft“, sagt der 25-jährige Wladimir, der samt Frau und Kind mit 80 Dollar im Monat auskommen muss. „Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich sofort ins Ausland gehen, um dort zu arbeiten.“ Viele haben Wladimirs Wunsch schon in die Tat umgesetzt. Schätzungen zufolge leben zwischen 400.000 und 800.000 Menschen mit moldauischem Pass im Ausland, nicht selten illegal.
Daran dürfte auch ein Sieg der Kommunisten auf absehbare Zeit wenig ändern. Schließlich stimmten deren Abgeordnete auch bislang immer mal wieder mit den regierenden zentristischen Parteien. Insider vermuten sogar, dass die jetzigen, vorgezogenen Wahlen auf einem Deal der Kommunisten mit der Braghis-Allianz, die den amtierenden Präsidenten Petru Luschinski unterstützt, beruhen. Sollten die Kommunisten gut abschneiden und die wichtigsten Regierungsposten besetzen, würden sie dafür im Gegenzug im Parlament die Wiederwahl Luschinskis zum Staatspräsidenten unterstützen.
Auch die außenpolitischen Konsequenzen sehen die meisten gelassen. „Die Kommunisten sind Pragmatiker und Opportunisten. Sie können es sich nicht erlauben, sich ganz vom Westen zu verabschieden. Sie werden weiter zwischen Brüssel und Moskau taktieren und darauf achten, das Beste herauszuholen“, sagt ein seit Jahren im Lande tätiger westlicher Experte.
Die Aktivitäten der Kommunisten stützen diese These. So ist es ein offenes Geheimnis, dass KP-Spitzen aus Moldau, darunter Parteichef Wladimir Voronin, sich in den vergangenen Wochen bei Russlands Präsident Putin die Klinke in die Hand gaben. Immerhin ist Moldau zu fast 100 Prozent von Energielieferungen des einstigen großen Bruders abhängig. Gleichzeitig unterhalten Voronin und seine Mannschaft auch gute Beziehungen zu den in Chișinău ansässigen Vertretern der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und anderer westlicher Organisationen.
Valerie Matei, der bürgerliche Parteiführer, sieht allerdings schwarz: „Wenn die Kommunisten die Wahlen gewinnen, wird der Prozess der Annäherung an Europa verlangsamt. Eine kommunistische Regierung wird ein grauenhaftes Experiment für Moldau sein.“
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