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Sternenhimmel ersetzt Diskokugel

Das WMF gehörte zu den Clubs in Mitte, die in den frühen Neunzigern Lebensentwürfe von Künstlern, Musikern und Aktivisten zum Tanzen brachten. Heike Ollertz hat die Geschichte des Clubs in einer Ausstellung der designtransfer-Galerie aufgearbeitet

von ULRICH GUTMAIR

Es muss der Winter 1990/91 gewesen sein. Es schneite zwei Tage lang, die Infrastruktur im Osten lag darnieder. Der Alexanderplatz wurde nicht geräumt, so dass sich die Trabants und Wartburgs durch 20 Zentimeter hohen Schnee pflügen mussten.

Es gab aber auch Nachbarn, die das ordnungspolitische Chaos begrüßten und in Mitte die Initiative ergriffen. Man besetzte leer stehende Häuser, eröffnete – bestenfalls halb legale – Bars und transformierte feuchte Keller in spartanisch eingerichtete Clubs. Morgens um zwei tropfte dort dann mitunter eine Mischung aus Schweiß und uraltem Dreck von den Decken.

Neben der Ständigen Vertretung im Keller des Tacheles, wo man samstags HipHop und Ragga hörte, besuchte man in jenem Winter auch gerne das WMF. Der Club hatte im Keller des ehemaligen Stammhauses der Württembergischen Metallwarenfabrik eröffnet. Nach diversen Umzügen durch Mitte ist das WMF heute ein Club mit internationalem Ruf. Heike Ollertz hat ihm nun eine Ausstellung im designtransfer, dem Präsentationsraum des Bereichs Gestaltung der HdK, gewidmet. Die Fotografin, die das Geschehen im Club seit 1995 dokumentiert hat, zeigt dort eine Sammlung von Fotos, Displays, Videos und Interviews.

Wichtige Protagonisten aus dem WMF-Umfeld wie F.R.E.d Rubin und Visomat Inc. sind mit Installationen in der Ausstellung vertreten. Letztere konzipierten mit einem System aus Kameras und Monitoren eine dekadente Version der Überwachung, in der sich der Club jeden Moment selbst spiegelte. F.R.E.d Rubin war wiederum in verschiedenen Locations für den neuen Zuschnitt der ursprünglichen DDR-Inneneinrichtungen verantwortlich. So baute er eine der Bars des Palasts der Republik im WMF ein. Als der Club später ins ehemalige Gästehaus des Ministerrats der DDR einzog, bastelte er aus vorgefundenen Resopal-Elementen eine neue Bar.

Tatsächlich versuchten die Clubbetreiber immer, bewusst mit dem jeweils genutzten Ort umzugehen. Für das erste WMF konnte man zusammen mit Botschaft e.V., einem Zusammenschluss von Künstlern und Aktivisten, Denkmalschutz erreichen. Die Botschaft selbst eröffnete um die Ecke den Friseur, dessen Publikum sich mit dem des WMF überschnitt. Bald danach zog das WMF in ein ehemaliges Pissoir auf dem Potsdamer Platz um. Über der Bar blinkten die Sterne durch ein Loch in der Decke, der Eingang war durch einen Baucontainer getarnt. So ist das WMF auch Teil der jüngeren Stadtgeschichte, die Ollertz' Projekt auch jenen nahe bringt, die den ständigen Wechsel der Location nicht kennen.

Die Darstellung dieser Geschichte durch bunte Aufnahmen des leeren Clubs ästhetisiert aber auch das soziale System, das um die gezeigten Räume und Orte kreist. Notwendigerweise reduziert sie lange Jahre, großartige Momente und individuelle Sichtweisen auf Designoberflächen. Zugleich versucht Ollertz, den Spirit von durchtanzten Nächten einzufangen: An den Wänden des Ausstellungsraums ist allen Locations ein Mitschnitt der jeweiligen Musik der Zeit zugeordnet – Sounds der frühen Neunziger, die man fast schon vergessen hatte. Die seltsame Mischung aus DDR-Kids, Hausbesetzern, Ravern, Künstlern, organischen Anarchisten und Bohemiens auf den Straßen Mittes bringt das Ganze nicht wieder. Es fehlt der Luxus, den all diejenigen genießen durften, die sich für einen Moment ihr eigenes Raum-Zeit-Kontinuum schaffen konnten.

„The making of WMF – Ein Club auf Wanderschaft“, bis 8. 3., Di. – Fr., 13–18 Uhr, designtransfer, Grolmanstr. 16Der Autor ist Redakteur der „Netzzeitung“

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