piwik no script img

Der sanfte Unbekannte

Till Heyer-Stuffer wird heute zum neuen Landessprecher der Grünen gewählt. Die Suche nach neuen Wählerschichten will der 41-jährige Hochschulpolitiker noch behutsamer angehen als bisher

von UWE RADA

Die Berliner Grünen befinden sich nicht gerade in einer beneidenswerten Situation. Wenn die Delegierten auf dem heutigen Parteitag beschließen, der SPD und der PDS Koalitionsgespräche anzubieten, so ist das auch ein Ausdruck der eigenen Ratlosigkeit. Zwar ist die CDU dank der Spendenaffäre um ihren Fraktionsvorsitzenden Klaus Landowsky seit Wochen geschwächt. Doch politisches Kapital daraus scheinen weder die Oppositionsparteien noch die SPD schlagen zu können. Die Opposition nicht, weil es ihr bislang nicht gelang, eine öffentliche Stimmung für einen Regierungswechsel zu befördern. Die SPD nicht, weil sie aufgrund ihrer Führungsschwäche keine überzeugende personelle Alternative zu Eberhard Diepgen (CDU) aufzuweisen hat. Das Gesprächsangebot der Grünen an SPD und PDS wird den Christdemokraten mithin kaum schlaflose Nächte bereiten.

Doch nicht nur die Berliner SPD hat ein Personalproblem, auch die Grünen haben es. Nach dem Sprung von Renate Künast in die Bundespolitik hat nicht nur die Fraktion im Abgeordnetenhaus eine populäre Politikerin verloren. Auch die Berliner Parteispitze musste mit Andreas Schulze einen überraschenden Rücktritt hinnehmen.

Anstelle von Schulze, der seiner Partei mangelnde Bereitschaft vorgeworfen hatte, sich auf die veränderten Bedingungen grüner Politik einzulassen, soll auf dem heutigen Parteitag der Hochschulpolitiker Till Heyer-Stuffer zum zweiten Vorstandssprecher neben Regina Michalik gewählt werden. Heyer-Stuffer will, so lautet sein Programm, „vor allem integrierend in der Partei wirken“. Micha Wendt, bündnisgrüner Stadtrat in Tiergarten, der sich ursprünglich ebenfalls um die Nachfolge Schulzes bewerben wollte, hat seine Kandidatur inzwischen zurückgezogen.

Heyer-Stuffer, 41 Jahre alt und derzeit hochschulpolitischer Referent im Rektorat der Uni Potsdam, weiß, dass er sich in der Partei erst noch bekannt machen muss. Einige Prominente bei den Grünen, betont er, kennen ihn aber schon, „zum Beispiel Fritz Kuhn oder Claudia Roth“. Ob das reicht, die grüne Parteispitze in Berlin ebenso zu stärken wie die auf Bundesebene?

Heyer-Stuffer selbst betont, dass er auch bundesweite Kontakte habe, etwa über den Bundesarbeitskreis Hochschulpolitik, in dem er seit langem aktiv ist. Aber auch der frühere Vizepräsident der Technischen Universität weiß, dass die Aufgabe eines Landesvorsitzenden etwas anderes ist als die eines Hochschulpolitikers. Die Liste der anstehenden Aufgaben ist jedenfalls so lang wie schwierig: die Partei nach außen und gegenüber der Fraktion zu stärken; neue Wählerschichten zu erschließen, ohne die alten zu verprellen; den Niedergang in den östlichen Bezirken zu stoppen; grünes Profil in Berlin gegenüber der Bundespartei zu zeigen.

Heyer-Stuffer, bislang nur Kandidat für den Berliner Sprecherposten, ist vorsichtig. Als „Flügeladjutant“ will er jedenfalls nicht antreten. Das zumindest eint den ehemals der Parteilinken zugeordneten Politiker mit Regina Michalik, die heute erneut für die grüne Doppelspitze kandidiert. Gleichwohl, sagt Heyer-Stuffer, wolle er aber auch nicht Positionen einfach preisgeben. „Ich will auf die Argumente eingehen und im Sinne des Zieles zu einer Lösung beitragen.“

Zumindest das, lässt Heyer-Stuffer durchblicken, habe Andreas Schulze nicht immer getan. „Es war falsch, die neue, grüne Metropolendiskussion der Partei quasi zu veordnen und sie hinterher zu beschimpfen.“ Statt sich zu beklagen, dass die Partei diese Diskussion nicht führen wollte, müsse sich Schulze eher fragen, warum es ihm selbst nicht gelungen sei, diese Diskussion zu führen. Till Heyer-Stuffer will das umstrittene Vorhaben, mit neuen Themen verstärkt auch in der Mitte nach Wählern zu suchen, etwas behutsamer angehen. „Von einem FDP-Verschnitt“, sagt er, „sind wir Gott sei Dank noch weit weg.“

Von einem Regierungswechsel in Berlin allerdings auch noch. Es ist schon verblüffend, dass einer, der sich in der jetzigen Situation um einen der beiden Sprecherposten bei den Berliner Grünen bewirbt, so wenig zum Zustand der Koalition und den Chancen der Opposition zu sagen hat. Ob es einen Geheimplan des SPD-Chefs Peter Strieder zum Ausstieg aus der großen Koalition tatsächlich gibt? Heyer-Stuffer blickt etwas ratlos drein. Oder wenigstens Gespräche, die das Angebot der Berliner Grünen an SPD und PDS begleiten? Heyer-Stuffer meint: „Wenn ich erst einmal Landesvorsitzender bin, werde ich davon sicher informiert werden.“

So viel allerdings gibt er zu einem möglichen Einstieg in eine rot-rot-grüne Koalition bereits preis: „Einen Interimsregierungschef darf es nicht geben.“ Ansonsten, gibt Heyer-Stuffer zu, habe er sich noch nicht weiter mit der schwierigen Frage beschäftigt, wer denn bei der SPD Regierender Bürgermeister werden soll. „Das ist eine Frage der SPD“, sagt er dann, einige Momente später.

Doch nicht nur von einer Regierungsbeteiligung sind die Berliner Grünen noch immer weit entfernt, sondern auch von neuen oder selbst den alten Wählern im Osten. Mit Andreas Schulze verlieren die Berliner Grünen schließlich einen weiteren Ostpolitiker in einer Spitzenfunktion.

Wenn es um das Thema Parteiaufbau Ost geht, gibt sich Heyer-Stuffer noch verhaltener als sonst. Die innerparteiliche Präsenz will er in den Kreisverbänden im Ostteil stärken, die Mitglieder des Landesvorstands sollten regelmäßig bei den Sitzungen präsent sein. Ob das allerdings hilft, in Marzahn, das sich zunehmend zum Problemgebiet entwickelt, politische Antworten auf immer dringendere Fragen zu formulieren?

Eines muss man bei Till Heyer-Stuffer allerdings nicht befürchten: dass nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden auch die Berliner Grünen in die Vergangenheitsdebatte ihrer Partei hineingerissen werden. Heyer-Stuffer ist kein Straßenkämpfer, ja er ist nicht einmal ein politischer Kämpfer, sondern eher einer, der im Verborgenen arbeitet und organisiert und dabei immer auf der richtigen Seite steht.

1980 von Karlsruhe nach Berlin gekommen, hat er sich nicht in den Berliner Häuserkampf hineinziehen lassen, aber auch nicht in die „Mafia“ der grünen Hochschulpolitik, wie sie etwa an der FU herrschte. Ohnehin ist er, der sich 1985 beim Tutorenstreik an der TU politisiert hat, erst 1995 den Grünen beigetreten. Ob eine weiße Weste allerdings reicht, die verblasste grüne Farbe wieder zum Leuchten zu bringen?

Zumindest in einem ist Till Heyer-Stuffer Realist. „Die große Koalition“, sagt er, „wird wohl noch eine Weile halten.“ Ob mit ihm oder ohne ihn, das spielt dann keine große Rolle mehr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen