MERZ PARADOX: POLITISCHE FLÜCHTLINGE SOLLEN NICHT POLITISCH SEIN: Asyl nur für Egoisten?
Im Asylrecht schafft die Politik oft selbst die Zustände, die sie dann anprangert. So war es mit dem Arbeitsverbot für Flüchtlinge – solange die Asylanten gesetzlich gezwungen waren, unbeschäftigt in den Heimen zu sitzen, konnten Populisten leicht von „Schmarotzern“ sprechen, die nur wegen der Sozialhilfe nach Deutschland gekommen seien. Ähnlich perfide ist der aktuelle Vorstoß von Friedrich Merz, der Asylbewerbern jede politische Tätigkeit verbieten will. Die Konsequenz wäre: Ein politisch Verfolgter dürfte nicht einmal mehr gegen die Zustände in seinem Heimatland protestieren! Und den Populisten würde es noch leichter fallen, ihr Lieblingsvorurteil hervorzukramen und Asylbewerber als bloße Wirtschaftsflüchtlinge zu brandmarken.
Doch darum geht es Friedrich Merz angeblich nicht. Vielmehr wolle er verhindern, dass Flüchtlinge durch exilpolitische Aktivitäten in Deutschland erst die Gründe schaffen, die zu einer Verfolgung im Heimatland führen könnten. Damit greift er eine Frage auf, die in der Rechtsprechung schon in den 80er-Jahren gelöst wurde.
Schon bisher werden so genannte Nachfluchtgründe nämlich nur recht restriktiv bei der Asylgewährung anerkannt. Die politische Tätigkeit in Deutschland wird nur beachtet, „wenn sie sich als Ausdruck und Fortführung einer schon während des Aufenthalts im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar betätigten festen Überzeugung“ darstellt. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 1986 und die Fachgerichte folgen dem. Wer als völlig unpolitischer Mensch nach Deutschland kommt und hier plötzlich zum hartnäckigen Dissidenten wird, erhöht damit also keineswegs seine Chancen im Asylverfahren.
Kennt Merz diese Rechtsprechung nicht? Oder macht er absichtlich Vorschläge für längst gelöste Probleme? Vermutlich geht es Merz überhaupt nicht nur um das deutsche Asylrecht – das real heute sowieso keine Rolle mehr spielt –, sondern um die Genfer Flüchtlingskonvention. Er will jedes potenzielle Abschiebungshindernis ausschließen.
Ein totales Politikverbot würde aber die Menschenwürde von Flüchtlingen verletzen. Es gehört gerade zum Selbstverständnis eines politischen Flüchtlings, auch im Fluchtland für die Ziele einzutreten, um deretwillen er verfolgt wurde. Gerade politische Menschen – also die Flüchtlinge, auf die das Asylrecht des Grundgesetz am besten passt – wollen nicht nur ihre eigene Haut retten, sondern auch den Menschen helfen, die zurückbleiben mussten und weiter leiden müssen. Hätten etwa die deutschen Flüchtlinge, die das Dritte Reich verließen, über Hitler schweigen sollen?
CHRISTIAN RATH
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