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Die Pixels wählen einen Betriebsrat

Jetzt mehr Mitbestimmung in der New Economy: Die Beschäftigten der Multimedia-Agentur Pixelpark setzen am Freitag die Wahl eines Betriebsrates in Gang. Auch die offizielle Meinung der Unternehmensleitung hat sich mittlerweile geändert

von RICHARD ROTHER

In einem Vorzeige-Unternehmen der New Economy ist jetzt das Unmögliche realistisch geworden. Bei Pixelpark, dem Berliner Flaggschiff der Neuen Ökonomie, stehen jetzt alle Zeichen auf Gründung eines Betriebsrates. Vor zwei Wochen haben Beschäftigte des Unternehmens den Stein mit einer ungewöhnlichen Aktion ins Rollen gebracht. Und zwar virtuell. 1.500 E-Mails wurden weltweit an die Mitarbeiter des Multimedia-Unternehmens verschickt. Die Mitarbeiter – allein in Deutschland 750 – sollten sich über Sinn oder Unsinn der Mitbestimmung äußern.

„Die Aktion war ein voller Erfolg“, sagte gestern Organisator Olaf Hofmann, Mitarbeiter in dem gewerkschaftlichen Kooperationsprojekt connexx.av. Die Betriebsratsgründung sei in vollem Gange. Am Freitag werde eine Betriebsversammlung stattfinden, auf dem ein Wahlvorstand für die Wahl des Gremiums gebildet werde. Dies sei gestern mit der Geschäftsführung vereinbart worden. Damit ist Pixelpark eines der ersten großen Unternehmen der New Economy, in dem ein Betriebsrat in Sicht ist.

Auch die offizielle Firmenposition zum Thema Mitbestimmung hat sich mittlerweile geändert. „Das Unternehmen steht jeglichen Formen der Mitbestimmung offen gegenüber“, sagte gestern Firmensprecherin Sabine Klisch. Man stelle sich der Diskussion im Unternehmen, die gerade begonnen habe. Firmenchef Paulus Neef hatte in der Vergangenheit einen Betriebrat immer wieder als überflüssig bezeichnet. Diese Meinung ist in der Branche weit verbreitet: In modernen Betrieben seien die klassischen Formen der Mitbestimmung anachronistisch, heißt es. Sie passten nicht ins Image flexibler Firmen.

Eine Interessenvertretung sei wichtiger denn je, hatte es jetzt in der gewerkschaftlichen Rundmail geheißen. Denn wirtschaftlich schwere Zeiten zögen häufig unangenehme Folgen für die Beschäftigten nach sich. Einiges bekämen die Pixels, wie sich die Mitarbeiter selber nennen, bereits zu spüren. Die Resonanz: Ein Drittel der antwortenden Pixelpark-Mitarbeiter äußerte sich positiv über das Mitbestimmungsgremium. Ein Drittel reagierte ablehnend, der Rest sah weiteren Diskussionsbedarf.

Das Unternehmen hat erst gestern tiefgreifende Umstrukturierungen angekündigt, bei denen sogar Entlassungen drohen. Hintergrund sind die wirtschaftlichen Schwierigkeiten: Pixelpark hat im vierten Quartal 2000 bei einem Umsatz von rund 27 Millionen Euro mehr als fünf Millionen Euro Verlust eingefahren.

Olaf Hofmann begründet die Betriebsratsinitiative aber nicht nur mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten. „Die lockeren Umgangsformen können nicht länger darüber hinwegtäuschen, dass Demokratie und transparente Entscheidungsgsstrukturen auch in der New Economy Fremdwörter sind.“ Unbezahlte Überstunden, ungesicherte Arbeitsverhältnisse und ein Leistungsdruck, der bis an die Grenzen des körperlich Leistbaren geht, seien dagegen an der Tagesordnung. Die Resonanz auf die Mail-Aktion habe seine Erwartungen übertroffen. Immerhin müsse man berücksichtigen, dass viele Beschäftigte die Möglichkeit der direkten Kontaktaufnahme über Mail und Telefon bevorzugten, weil sie Sanktionen im Unternehmen befürchten.

Bedenken, die oft berechtigt sind. Erst vor wenigen Wochen waren Beschäftigte, die in dem Call Center Hotline GmbH einen Betriebsrat gründen wollten, entlassen worden (taz berichtete). Erfolglos blieb die Initiative, bei der mehrere Protestkundgebungen vor dem Firmensitz stattfanden, dennoch nicht. Mittlerweile konstituierte sich ein Wahlvorstand für eine Betriebsratswahl. Den Mitgliedern darf nicht gekündigt werden.

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