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„Globalisierung rückt Seuchen zusammen“

Lothar Wieler, Professor für Mikrobiologie und Tierseuchen in Berlin, über Ursachen und Folgen der Maul- und Klauenseuche

taz: In Deutschland sind alle Viehmärkte für eine Woche gesperrt worden. Krisenstäbe zur Maul- und Klauenseuche allerorten – ist das eine angemessene Reaktion, oder steckt auch Panik dahinter?

Lothar Wieler: Die Maul- und Klauenseuche ist eine der gefährlichsten Krankheiten für Tiere, die wir kennen. Was wir hier sehen, ist keine Panik, sondern professionelles Management. Aber die Öffentlichkeit reagiert heute anders, ist viel stärker sensibilisiert als zum Beispiel vor einem halben Jahr. Vor BSE hätten wir Maul- und Klauenseuche nicht auf den Titelseiten aller Zeitungen gefunden.

Was sollte man tun, wenn ein Fall hier auftritt?

Das Gleiche wie in Großbritannien: Sollte in einem Bestand Maul- und Klauenseuche diagnostiziert werden, dann wird der Bestand hermetisch abgeriegelt; das heißt, der Personenverkehr wird eingeschränkt, und der Viehverkehr wird völlig ausgesetzt. Und die Tiere dieses Bestands werden wegen des Infektionsrisikos alle vernichtet.

Würde es etwas nützen, wenn man jetzt alle Tiere in der deutschen Landwirtschaft impfen würde?

Die Impfung ist ein zweischneidiges Schwert. Erstens schützt die Impfung nicht huntertprozentig. Die Infektion kann aber verdeckt bleiben, weil das Tier durch die Impfung besser damit fertig wird. Zweitens sind Tiere, die geimpft sind, Handelsrestriktionen unterworfen, denn man kann sehr schlecht unterscheiden, ob die Tiere mit dem Krankheitsvirus infiziert wurden oder durch eine Impfung immunisiert wurden. In beiden Fällen tragen die Tiere Antikörper in sich.

Gibt es Impfstoff gegen den Krankheitstyp O, der jetzt in Großbritannien wütet?

Ja, aber solch eine Impfung schützt dann nur gegen diese Serogruppe O. Gegen andere Typen würde dieser Impfstoff nichts nützen. Und der Schutz hält nur etwa zwei bis vier Monate.

Wann ist es sinnvoll, mit Impfungen zu beginnen?

In der momentanen epidemiologischen Situation ist Impfung nicht anzuraten. Sollte es in Deutschland zu sehr vielen Ausbrüchen kommen, dann wird man sich zur Impfung entschließen – weil man damit den wirtschaftlichen Schaden geringer halten kann als bei der Tötung der betroffenen Tiere.

Wie sind die Menschen früher mit der Seuche fertig geworden?

Da die Krankheit sehr infektiös ist, befällt sie alle Tiere in einem Stall. Aber nur etwa zehn bis fünfzehn Prozent der Tiere sterben daran. Die anderen werden in der Regel wieder gesund. Aber die erkrankten Tiere leiden sehr. Maul und Klauen sind für Wochen stark mit Bläschen befallen, die platzen und bluten. Da es keine Behandlungsmöglichkeit gibt, ist es aus Tierschutzgründen besser, wenn das Tier getötet wird.

Begünstigt die moderne Stallhaltung die Ausbreitung von Infektionskrankheiten?

In modernen Ställen kann man Seuchen leichter bekämpfen, der Raum ist überschaubar, kann leicht gereinigt und desinfiziert werden. Außerdem können Erreger in geschlossene Räume nicht so leicht hineinkommen, weil die Tiere weniger Kontakt haben. Wenn aber ein Tier infiziert ist, kann sich die Krankheit viel schneller ausbreiten, da die Tiere in so einem Stall dicht zusammenstehen.

Woher kommt das Virus? Es gab in Großbritannien doch seit Jahrzehnten keine Maul- und Klauenseuche.

Woher das Virus in Großbritannien stammt, ist noch nicht bekannt. Aber es gibt so gut wie keine Infektionskrankheit, die ganz ausgerottet ist – vielleicht ist uns das einzig bei den Pocken gelungen. Die Maul- und Klauenseuche ist in Südostasien zu Hause, derzeit sind Tiere in der Mongolei stark davon befallen, in Griechenland und in der Türkei gab es in den letzten Jahren Fälle.

Trägt die Globalisierung mit Tiertransporten rund um den Erdball zur Ausbreitung von Seuchen bei?

Ja, selbstverständlich. Die Chance, dass ein Erreger von einem Land zum anderen kommt, ist unter anderem durch den Tierhandel enorm gestiegen. Tiere sollten nicht so viel hin- und hertransportiert werden. Die Globalisierung rückt die Seuchen näher zusammen.

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