Finnland zürnt über Chuzpe seiner Läufer

Die Kultur des Dopings im finnischen Skilanglauf-Team provoziert Vergleiche mit dem Staatsdoping der DDR-Sportler

„Wie ist eine solche Ansammlung von Schwachköpfen möglich?“

HELSINKI taz ■ „Schussfahrt in den Abgrund!“, überschrieb die in Helsinki erscheinende Tageszeitung Hufvudstadsbladet am Donnerstag ihren Kommentar zum Dopingskandal im finnischen Skisport. „Schlimmer hätte es eigentlich nicht werden können“, befand sie. Tatsächlich wird der Dopingskandal, der mit Litern Blutverdünnungsmittel an die Oberfläche geschwemmt wurde, zu einem der größten der Sportgeschichte. Schon kommen Vergleiche mit dem DDR-Plandoping auf.

Nach den ersten „Einzelfällen“ in der vergangenen Woche, als Jari Isometsä und Janne Immonen überführt wurden, förderte eine für die Veranstalter der WM in Lahti offenbar überraschend angesetzte Massenkontrolle des internationalen Dopingbüros WADA vier weitere Fälle unerlaubter Medikamenteneinnahme zutage. Darunter waren ausgerechnet die beiden populärsten Skiläufer des Landes, Mika Myllylä und Harri Kirvesniemi sowie vermutlich – hier steht die B-Probe noch aus – die neue Skikönigin Virpi Kuitunen. Verantwortlich dafür: Hemohes, ein Blutverdünnungsmittel, das den Hämoglobinwert des Blutes unter die zulässigen Grenzwerte senkt. Hemohes wird dann benötigt, wenn der Hämoglobinwert – je höher er ausfällt, desto besser ist der leistungsfördernde Sauerstofftransport der roten Blutkörperchen – künstlich durch Epo oder in Druckkammern in die Höhe getrieben wurde.

„Es gab offensichtlich eine Kultur im Skisport, welche Aktive und Trainer alles auf eine Karte setzen ließ, um zu gewinnen“, analysiert Hufvudstadsbladet. Im Nachbarland Schweden argumentiert die Presse schnörkellos. „Wie ist eine solche Ansammlung von Schwachköpfen möglich“, fragt sich das Svenska Dagbladet aus Stockholm. Finnlands Cheftrainer Jari Pekka-Kyrö nahm die Schuld auf sich und machte damit auch die Verantwortung des Skiverbands für die Dopingkultur deutlich: Man habe gewusst, dass das Medikament verboten ist, habe aber geglaubt, das Risiko entdeckt zu werden, sei verschwindend gering.

Wie tief die Glaubwürdigkeit des finnischen Skisports erschüttert ist, zeigte sich, als der Mannschaftskapitän, der eine Woche lang gelogen hatte in der Hoffnung, den Skandal noch verhindern zu können, auf einer Pressekonferenz am Mittwochnachmittag treuherzig verkündete: „Es gibt bei uns kein umfassendes Doping.“

Nicht nur die Verabreichung der verbotenen Medikamente durch die Mannschaftsärzte war wohlorganisiert und von der Teamleitung geduldet, man versuchte bis zuletzt auch alles Erdenkliche, um den Skandal in Grenzen zu halten. Man war sich durchaus klar darüber, dass die Blutwerte von Janne Immonen, Mitglied der Skistaffel, extrem hoch waren.

Um eine Staffelmedaille nicht zu gefährden, erhielt Immonen den Auftrag, in den ersten beiden Rennen nicht ins Ziel zu kommen. Tatsächlich ging im ersten Lauf eine Bindung aus „unerklärlichen Gründen“ kaputt, im zweiten brach der Stock an einer der wenigen Stellen, an denen keine Fernsehkamera stand. Weshalb der „arme“ Immonen auch tagelang als „Pechvogel“ Schlagzeilen machte. „Pechvogel“ Mika Myllylä hatte dagegen „Erkältungsprobleme“, verzichtete ganz auf die ersten Wettbewerbe aufgrund noch höherer Blutwerte und brach später ebenfalls einen Lauf ab, um nicht im Ziel getestet zu werden. Eine „neue Karriere als Schauspieler“ empfiehlt den beiden folgerichtig das Stockholmer Aftonbladet.

Da Mannschaftskapitän Kyrö einräumte, man experimentiere schon seit 1999 mit den jetzt aufgeflogenen Dopingmethoden, empfahl Aftonbladet dem mittlerweile ins Ausland abgetauchten Mika Myllylä, er möge doch seine drei Goldmedaillen der WM in Ramsau zurückgeben. Dort hatte der als „König von Ramsau“ gefeierte Finne 1999 die Läufe über 10, 30 und 50 Kilometer gewonnen.

Die finnische Regierung hat angekündigt, reinen Tisch machen zu wollen. Kultusministerin Sivi Lindén will eine Kommission einsetzen, die sich mit der Dopingkultur im finnischen Sport beschäftigen soll. Nicht nur zwei Jahre, sondern ganze 30 Jahre will man zurückblicken. Man ist sich offenbar bewusst, dass es einiges zu entdecken gibt. Ernsthaft diskutiert wird auch ein Verzicht auf die Teilnahme an der Winterolympiade 2002 in Salt Lake City, wenn schon nicht aus Scham, dann vielleicht weil das Geld knapp werden dürfte. Eine ganze Reihe von Hauptsponsoren des finnischen Skisports hat nämlich ihre Verträge gekündigt. REINHARD WOLFF