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Die Vater-Konserve

■ Eine Tochter erzählt, wie es ist, ohne Vater groß zu werden. Kein Generve am Sonntagmorgen, dafür Sprüche wie „Du bist wie dein Vater“, aber niemand, an dem man sich abarbeiten kann

Unverzichtbar wurde mein Vater dadurch, dass er starb als ich zwei Jahre alt war. Mir fehlte nicht nur ein Elternteil, meine Mutter war auch noch mit meiner sechs Monate alten Schwester beschäftigt. Durch die Bemerkungen von Freunden „Du bist wie Dein Vater“, wurde ein Phantom zur Orientierung. Daraus wiederum ergaben sich zwei Konsequenzen: Zum einen eine Kindheit und Jugend mit einem „Vater aus der Konserve“, der nur von Fotos und aus Erzählungen von Familie und Freunden bekannt war. Zum anderen ist dieser „Phantom-Vater“ fabelhafte Projektionsfläche, wenn die Welt nicht so will, wie sie soll.

Hört sich an, als sei das die ideale Kombination: Ein Toter wird sowieso idealisiert und beschert dem Kind sozusagen postum einen Vorzeige-Vater. Ansonsten gibt es am Sonntag Morgen kein Generve, wenn die Teenager um fünf anstatt um ein Uhr nach Hause gekommen ist. Zugegeben, dass ist angenehm. Aber irgendwann kommen Fragen wie „Bin ich meinem Vater wirklich ähnlich?“ oder „Wie wäre das Leben überhaupt mit Vater und Mutter?“ Letztere gibt sich zwar alle Mühe der Welt, kann aber nicht verhindern, dass der Job manchmal nicht kinderkompatibel ist. Also brav eine halbe Stunde vor der Schule warten (nehm' ich doch lieber den Bus?), weil sie versprochen hat, die kids abzuholen (besser nicht, sonst macht sie sich Sorgen).

Dabei ist gar nicht mal so wichtig, dass das traditionelle Rollenverständnis in diesen Fällen nicht greift. Es fehlt der Mensch, an dem sich vor allem Jugendliche für gewöhnlich abarbeiten – er ist nicht nur räumlich entfernt, sondern völlig unerreichbar. Das bedeutet: weniger Bündnismöglichkeiten und mehr Außenseitergefühl. Denn dass der Vater früh stirbt, ist heute die Ausnahme, dann schon eher geschiedene Eltern. So wird man schon auf dem Schulhof zum Exot und darf Fragen nach Todesursache und Erinnerung an den Verstorbenen (keine, absolut keine) beantworten.

Und erst die Pubertät: sobald der Freund der 16-jährigen 26 ist, muss die gekappte Vater-Tochter-Beziehung herhalten, um den Altersunterschied zu erklären. Einerseits ist das „weibliche Bewusstsein“ an einer starken Mutter geschult, die Kinder und Job (scheinbar) mühelos unter einen Hut bringt. Andererseits betritt die junge Frau in Beziehungsdingen komplettes Neuland: Zu Hause sind die „Vize-Väter“ eher als „fake“ ignoriert worden. Wird der tote Vater zum „Über-Vater“, beginnt zusätzlich der – von außen etwas gruselig anmutende – Versuch, es einem Toten recht zu machen und das Streben nach Akzeptanz von jemandem, der sie in keiner Weise geben kann. In einem merkwürdigen Kreislauf führt dieses „Schweigen“ des Vaters dazu, sich mehr ins Zeug zu legen.

Julia Kammigan

Julia Kammigan, 26, ist Praktikantin bei der taz bremen.

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