: „Die Mauer war der Eiffelturm von Berlin“
Der Deutsche Akademische Austauschdienst lädt seit 35 Jahren Kulturschaffende nach Berlin ein. Heute ist das Programm kein Symbol westlicher Vielfalt und Freiheit mehr, sondern eine internationale Plattform. Ein Gespräch mit Friedrich Meschede, der den Bereich bildende Kunst beim daad leitet
Interview HARALD FRICKE
taz: Herr Meschede, auf dem Plakat zum 35-jährigen Jubiläum des daad-Künstlerprogramms sieht man ein Ortsausfahrtsschild. Wer wird verlassen: die Kunst oder Berlin?
Friedrich Meschede: Da ist ja eine feine Nuance eingebaut. Der rote Balken an einem Ortsausfahrtsschild durchstreicht die Stadt. Bei uns steht der Begriff „Kunst“ aber vor dem Balken.
Welche Position hat sich Ihre Institution aufgebaut?
Man darf den Deutschen Akademischen Austauschdienst nicht allein betrachten. Zusammen mit dem Goethe-Institut und dem Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart gehört er zu den drei Einrichtungen der Auswärtigen Kulturpolitik. Wobei alle drei Institutionen verschiedene Aufgaben wahrnehmen: Das Goethe-Institut kümmert sich vorrangig um Vermittlung der deutschen Sprache und Kultur, das ifa-Institut setzt sich für Ausstellungen deutscher Künstler im Ausland ein. Diese dezentrale, föderale Struktur wurzelt seit 1949 in der Verfassung der Bundesrepublik: Kultur sollte nie wieder zentralistisch organisiert werden.
Das Berliner Künstlerprogramm (BKP) des daad geht auf die Unterstützung der Ford-Foundation bis 1966 zurück, auch Großbritannien war ein früher Austauschpartner. Liegt es daran, dass Künstler aus den USA und britische Künstler in der Überzahl sind?
Dass einige Länder in der Zusammenarbeit Schwerpunkte bilden, liegt eher an inhaltlichen Interessen. Es gibt keine Kontingente oder bilateralen Achsen, um mit bestimmten Ländern besondere Kontakte zu pflegen. Bei uns entscheiden Jurys aufgrund der vorgeschlagenen Künstler über die Stipendienvergabe. Dass nun seit einigen Jahren viele britische Künstler nach Berlin kommen, liegt sicher auch am Hype der Young British Art.
Gerade mit britischen Künstlern hat sich die Aufmerksamkeit für den daad verändert. Wo früher ein Stipendiat wie Marcel Broodthaers zurückgezogen in Berlin arbeitete, geht es jetzt um öffentliche Vermarktung.
Man kann Damien Hirst als Beispiel nehmen: In England ist er ein Popstar, der sich in entsprechenden Kreisen bewegt. Hirst hat sich bei seinem Berlin-Aufenthalt einfach von diesem Öffentlichkeitsdruck erholt. Als er den Turner-Preis 1994 gewann, hatten wir mit ihm eine Ausstellung in der daad-Galerie. Da gab es normale Feuilletonbesprechungen, aber für Hirst als Star hat sich keine Kritik interessiert. Das ist für britische Künstler ungewöhnlich, weil sie die Medien ja mit nutzen für ihre Strategien. Der Effekt bleibt vollständig aus in Deutschland. Selbst Tracey Emin konnte in Berlin recht unbehelligt mit ihrem Freund und daad-Gast Mat Collishaw leben. Berlin bietet ein retardierendes Moment, das man als Künstler nutzen kann.
Umgekehrt hat der russische Konzeptkünstler Ilya Kabakow von Berlin aus internationale Kontakte geknüpft. Müsste der daad nicht stärker Kunst aus dem Osten unterstützen?
Das ist doch auch bei Boris Michailow geschehen. Seit dem daad-Stipendium 1995 ist er zwischen Charkow und Berlin gependelt und hat dabei drei kleinere Ausstellungen gemacht. Dabei gab es für Michailow kaum Öffentlichkeit. Erst als wir sein Buch „Case History“ unterstützt und ihm den Kontakt zum Scalo-Verlag hergestellt haben, wurde er auch international bekannt. Zuletzt hat er für das Buch den renommierten Hasselbladt-Preis gewonnen, deshalb kann er es sich jetzt noch besser leis- ten, in Berlin zu bleiben.
Das heißt aber doch, dass sich die Funktion des daad geändert hat: Vom stillen Refugium im Schatten der Mauer zum Schaufenster für aktuelle Kunst?
Natürlich war die Gründung des BKP eine Reaktion auf den Mauerbau, ein Manifest für die Freiheit. Und bis 1989 war die Mauer auch Wahrzeichen und Auseinandersetzungspunkt für die meisten der eingeladenen Künstler. Die Mauer war der Eiffelturm von Berlin. Dieses Wahrzeichen ist dann aber demoliert worden, und nun ist das neue Wahrzeichen von Berlin eher etwas Unsichtbares geworden, der Treffpunkt, die Möglichkeit zur Fluktuation und zum Austausch mit anderen Künstlern. Das geht ja so weit, dass sich die Kanadierin Janet Cardiff und der Kanadier Rodney Graham erst hier in Berlin als Gäste des daad zum ersten Mal begegnet sind.
Es gibt tatsächlich eine ganze Reihe berlinspezifischer Arbeiten: Der „Sandmann“-Film von Stan Douglas, die „Stasi City“-Installation der Wilson-Schwestern oder jetzt Aura Rosenbergs „Berliner Kindheit“. Könnte der daad diese Kunstwerke nicht gemeinsam auf Tour schicken?
Ich habe eine spezielle Fotoausstellung letztes Jahr für Amerika vorgeschlagen, als Arbeitsergebnis der vergangenen zehn Jahre. Darüber hinaus gibt es eine Kooperation mit der Bankgesellschaft Berlin, die ausschließlich daad-Künstler für ihre Bankgebäude sammelt. Zugleich ist es auch ganz angenehm, wenn nicht alles in Berlin bleibt, sondern, wie etwa „Stasi City“, von der Hamburger Kunsthalle angekauft wird. Vielleicht gibt es diese Möglichkeit demnächst auch mit Kasper König als neuem Direktor des Kölner Museums Ludwig. Es muss nicht immer Berlin sein, da bin ich voll und ganz Föderalist, das BKP ist mehr ein Künstlerprogramm für Deutschland.
Aber gerade weil vom daad aus so viele Kontakte geknüpft werden können, müsste sich die Institution doch für Kunst aus Afrika, Asien oder dem Osten mehr einsetzen?
Das ist eine schwierige Sache. Als Gabriel Orozco bei uns zu Gast war, wollte er immer, dass sein Wohnsitz sowohl New York als auch Mexiko-City ist. Katerina Vincourova aus Prag hat sich jetzt auch für Berlin als festen Wohnsitz entschieden. Sobald Künstler sich einen internationalen Anspruch setzen, verliert sich der Gedanke, aus welcher Provinz sie herkommen. Künstler wollen ja immer das Top erreichen, vielleicht ist es immer der Traum vom Museum of Modern Art oder vom Centre Pompidou. Da sollte man versuchen, Berlin auch zu so einer Adresse zu machen. Wenn es darum geht, wie sehr diese Tendenz in einem westlichen Kunstbegriff aufgeht, dann bin ich doch gespannt, ob Okwui Enwezor diese Festschreibung mit seiner documenta brechen kann. Oder mit seinem Engagement hier beim Berliner daad, schließlich ist er in der Jury, die die nächsten Gäste im April auswählt.
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