: Ex oriente hit
Die allerneueste deutsche Welle: die Gruppe Niemann und ihr Schlager „Im Osten“
Das hatte gerade nicht gefehlt: Ein neuer Song aus dem Osten, eine neue Osthymne, die ausnahmsweise mal nicht davon schwärmt, wie heimelig die alte Heimat war, sondern wie großartig der Osten ist, bzw. sich selber seit neuestem vorkommt. Ein gründlich renoviertes Selbstwertgefühl, ja Selbstbewusstsein (hoho!) mäandert durchs Beitrittsgebiet wie sonst die Fratzen von Achim Menzel, Dagmar Frederic und Gunter Emmerlich durch die Super Illu. Wer sie liest / genießt. „Im Osten“ heißt der Song, und dort ist er wahrlich ein Straßenfeger. Die Menschen sitzen ununterbrochen vor dem Radio, wo das Lied 24-mal in der Stunde gespielt wird. Wer es hört / ist verstört.
Bild, Super Illu, sämtliche Regionalblätter, RTL, Sat.1 und sogar die „Tagesthemen“ featuren die Band Niemann wie nichts Gutes. Die allerneueste deutsche Welle kommt aus Sangershausen in Thüringen, einem Städtchen, aus dem sonst nichts kommt. Hin und wieder schaffen es ja ostdeutsche Kommunen in die überregionale Berichterstattung, mit Initiativen, die, anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, sich mittlerweile als normale PR-Maßnahme etabliert haben. Was gefällt / hält. Da werden Springerstiefel an Obdachlosen auf Trittfestigkeit getestet. Da dienen Ausländer manchenorts als Brandbeschleuniger oder gern bejagtes Straßendamwild. Und wenn sich Apotheker aus Nahost in Ganz-Nah-Ost niederlassen, dann riegelt die Polizei die betroffene Innenstadt auch mal ab. Denn in den Gegenden, wo nach dem Fall der Mauer eine Art Miniaturzone, eine national befreite, fortbesteht, sind die Nürnberger Rassengesetze nach wie vor in Kraft. Wer sie sieht / flieht.
Dumm-Baba-Dumm-baba-Dumm-Baba ... Ex oriente hit, aus dem Osten kommt der Hit. Die Männer küssen besser, die Frauen sind schöner, die Kinder lachen öfter, und die Omis sind noch viel lieber. Die „eingefleischten Kenner“ wissen das, und bestimmt sind die Kenner im Osten noch viel eingefleischter als die Westkenner. Selbst die Mauern im Osten halten besser, obwohl sie beim ersten Anflug der Mauerspechte wie mürbes Backwerk zerbröselten. „Trotzdem sind wir viel zu bescheiden. Trotzdem kann uns immer noch nicht jeder leiden. Wir sind viel zu bescheiden. Dass wir irgendwann die Sieger sind, lässt sich nicht vermeiden.“ Wer so reimt / schleimt. Fragt sich nur, warum die Menschen den besten Osten – wo „die Butter hier mehr nach Butter schmeckt“ – verlassen? Und in den viel schlechteren Westen übersiedeln, Jahr für Jahr zu Hunderttausenden? Vielleicht aus Bescheidenheit? Eher wohl nicht. Denn der Realismus dieses am besten Pionierlied geschulten Poptextes liegt in seinen Relativierungen. Es ist nämlich so, dass der Sekt hier nur „etwas mehr“ nach Sekt schmeckt, dass die meisten hier nur „meistens“ und „etwas“ schneller schalten, dass hier nur „eigentlich“ und nur „fast“ alles besser ist als im Westen, dass die Sonne um den Westen nur „meistens“ einen großen Bogen macht und dass der Wind von Osten nur „meistens etwas“ frischer weht. Wer das kennt / wird Dissident.
Ein ironischer Song, meldet die Plattenfirma Berlin Records, ja ein „augenzwinkender Song“ sei dies, mit dem Niemann es in die deutschen Charts geschafft hat. Das wäre die Sorte Augenzwinkern, bei der die Augen sehr lange geschlossen bleiben. Manche nennen es Schlaf. Es ist der Schlaf der Selbstgerechten. Sind sie erwacht / dann gute Nacht. Dann weht der Wind von Osten nicht nur „meistens etwas“ frischer, sondern immer. Dann wird das Land mit Butter, Sekt und Spreewaldgurken überzogen. Dann halten auch die Mauern wieder besser. Dumm-Baba-Dumm / ad libitum. Ex oriente shit. RAYK WIELAND
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