: „Sich an symbolische Räume gewöhnen“
Der Architektursoziologe Harald Bodenschatz hat sich in Berlin als Kritiker einer inszenierten Urbanität und der Amerikanisierung der Stadt einen Namen gemacht. Seit einer USA-Reise macht er sich allerdings für den New Urbanism stark. Ist aus dem Kritiker ein Protagonist geworden?
taz: In der „Truman Show“ ist das amerikanische Seaside die Kulisse für eine urbane Live-Show. Sowohl die Architektur als auch die Stadt sind Kulissen, ihre Bewohner sind Schauspieler. Sehen Sie nicht in dieser Inszenierung des Städtischen eine der Gefahren des New Urbanism?
Harald Bodenschatz: Natürlich spiegelt sich darin eine mögliche Gefahr. Der New Urbanism ist, wie jede Reformbewegung, eine ganz widersprüchliche Sache mit allerlei Risiken.
Sie waren fünf Monate in den USA, um sich dort Projekte des New Urbanism anzusehen. Zurückgekommen sind Sie mit der zumindest für das Berliner Publikum überraschenden Feststellung, dass es sich dabei um Projekte handle, die nicht nur eine neue Städtebaureformbewegung markieren, sondern sogar die Zukunft der Stadt zum Thema haben. Was hat Sie so sehr überzeugt?
Zu registrieren, dass in den USA an der Zukunft der Stadt gebaut wird, heißt ja noch nicht, diese Zukunft wundervoll zu finden. Festzuhalten ist, dass dort eine mögliche Zukunft der Stadt sichtbar wird, die sehr stark durch symbolische Räume geprägt ist. Räume, die durch Animationen inszeniert werden und in denen sich die weißen Mittelschichten als Akteure auf einer Bühne fühlen und diese Bühne auch aktiv nutzen. Das ist eine interessante Entwicklung.
In Europa, auch hier zu Lande, sind Begriffe wie symbolische Stadt, Bühne oder Inszenierung eher negativ besetzt.
Eine Großstadt in den USA kann nicht ohne weiteres mit einer europäischen Großstadt verglichen werden. Die Peripherien sind in den USA weit stärker gewuchert, und die Innenstädte sind in der Nachkriegszeit oft stark verfallen. New Urbanism ist auch eine Antwort auf diese Verhältnisse.
Auf den Fotos, die Sie aus den USA mitgebracht haben, sind Straßenräume zu sehen, die wie ausgestorben wirken, es gibt Veranden, auf denen ein einsamer Schaukelstuhl steht. Woher nehmen Sie den Glauben, dass sich in Seaside etwas an der Lebenswirklichkeit des „suburban sprawl“ ändern wird?
Man kann den Umzug in eine Siedlung des New Urbanism als Fortführung des suburbanen Lebens deuten. Man kann es aber auch als dessen Modifizierung sehen, als symbolischen Schritt, der über das suburbane Leben hinausweist. Wichtig für eine Beurteilung ist, dass die Bewohner der neuen Siedlungen des New Urbanism nicht aus der Stadt kommen. Sie kommen vielmehr aus den Suburbs, haben dort suburbane Lebensstile entwickelt und sind jetzt ganz bewusst in eine Siedlungsform gezogen, die Stadt simuliert, die symbolische Formen oder symbolische Botschaften vermittelt. Ein Beispiel dafür ist die „porch“, die Veranda mit Schaukelstuhl, auch wenn er leer bleibt. Man kann das zum einen als Unfähigkeit interpretieren, Community zu realisieren. Man kann es aber auch als Bereitschaft zur Community interpretieren.
Was bedeutet New Urbanism für die europäische Stadt? So sehr Revitalisierungsprojekte wie in den USA der erste Schritte in Richtung einer neuen Stadt sein können, so sehr können sie in Europa aber auch zur weiteren Auflösung und Spaltung der Städte und damit zu einer Amerikanisierung führen. Teilen Sie diese Befürchtung?
Ja und nein. Ich gehe davon aus, dass auch die europäischen Mittelschichten in Bewegung kommen und sich mit den gesellschaftlichen Problemen der Stadt wieder vertieft beschäftigen werden. In den USA hat dieser Prozess bereits begonnen. Die Vorstellung, dass soziale Mischung, funktionale Mischung und architektonische Vielfalt erstrebenswert sind, die Vorstellung, dass der „suburban sprawl“ etwas ist, das die Gesellschaft bedroht, verbreitet sich dort weit über die Profession von Architekten hinaus. Sie zeigt eine interessante Veränderung von Werten, Einstellungen und Einschätzungen in der öffentlichen Meinung der USA. Sicher ist es richtig, dass sich die städtebaulichen Formen und Produkte des New Urbanism nicht einfach nach Europa übertragen lassen. Die Verhältnisse sind zu unterschiedlich.
Können Projekte wie etwa das Kirchsteigfeld in Potsdam vor dem Hintergrund des New Urbanism gesehen werden?
Was mich am Kirchsteigfeld sehr an Projekte des New Urbanism erinnert, ist der Umstand, dass dort symbolische Räume entstanden sind. Es gibt dort interessante Platzfiguren, die an historische Stadträume erinnern, aber völlig leer sind, auf denen gar nichts stattfindet. Das sind ganz offensichtlich städtische Räume, die nur partiell, nur dann, wenn sie animiert werden, genutzt werden. Wir haben es inzwischen mit einer Vielzahl solcher Räume im Alltag zu tun. Im Grunde sind doch die für den Tourismus inszenierten Altstädte, beispielsweise in Italien, auch schon zu solchen Räumen geworden. Diese symbolischen Räume haben ja mit dem traditionellen Alltagsleben eigentlich nichts mehr zu tun. Interessant ist, dass sie ihrerseits Vorbild werden für den Alltag von Mittelschichten, die eine Alternative zur normalen Suburb suchen, die ihr Bedürfnis nach Stadt artikulieren.
Das Bedürfnis nach Stadt oder das Bedürfnis nach symbolischen Räumen?
Lässt sich das wirklich so scharf voneinander trennen? Offensichtlich nimmt das Bedürfnis nach symbolischen Räumen zu. Sowohl für den engeren Wohnbereich als auch für Stadträume, die dem Tourismus dienen.
Sie haben in den USA die Projekte des New Urbanism in einer Zeit besucht, als in Berlin noch über den Unterschied zwischen öffentlichen und privaten Räumen diskutiert wurde. Ist Harald Bodenschatz, der Kritiker der hiesigen Verhältnisse, in den USA zum Konvertiten geworden?
Nein. Ich plädiere für eine kritische Überprüfung unserer Wahrnehmungs- und Diskussionsmuster hinsichtlich des Städtebaus. Und ich bin der Meinung, dass ein Projekt für eine bessere Stadt nur dann Erfolg versprechend ist, wenn es von den Mittelschichten mitgetragen wird und wenn es den postindustriellen Lebensverhältnissen in sozialer Weise Rechnung trägt. Dass mit praktischen Reformen immer auch Risiken verbunden sind, schreckt mich nicht ab.
INTERVIEW: UWE RADA
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