: No Englisch, please, vee are Deutsch
Am 25. Februar stand in der Sonntagsbeilage der in Delhi erscheinenden indischen Tageszeitung „Pioneer“ ein Text über die deutsche Diskussion zu Sprachreinheit, Kulturnation und Parallelgesellschaften. Anmerkungen dazu, was Green-Card-Anwärter erwartet. Ein Nachdruck
von DENNIS STUTE
Es mag manche deutsche Politiker überraschen, aber die offizielle Sprache in Deutschland ist Deutsch. Bildungseinrichtungen unterrichten auf Deutsch, die Bürokratie kommuniziert auf Deutsch, vor Gericht muss man sich auf Deutsch verteidigen, Gebrauchsanweisungen und Produktinformationen sind auf Deutsch, und so fort. Gesetze regeln all diese Dinge. Das reicht aber nicht, meint Eckart Werthebach, der Innensenator von Berlin. Der Christdemokrat befürchtet, dass das Deutsche angenagt und zermürbt wird, aber nicht von Ratten, sondern – viel schlimmer – von einer Flut englischer Wörter. Er beschwert sich – was auf eine Analfixierung seinerseits hindeutet –, dass Anzeigen sogar das englische Wort „underwear“ verwenden. Um seine geliebte „Unterwäsche“ zurückzubekommen, möchte er ein Gesetz, das einer weiteren Vereinnahmung und Verarmung der deutschen Sprache vorbeugt. Sprache ist, wie er versichert, der Schlüssel zum Selbstbild und zum Selbstbewusstsein eines Volkes, das im Falle von Herrn Werthebach sehr gering sein muss, weil er es für nötig hält, zu betonen, dass dem deutschen Bürger aus seiner Sprache kein Nachteil entstehen darf.
Er musste feststellen, dass heute in Deutschland Kongresse stattfinden, bei denen kein Deutsch mehr gesprochen wird. Deutsche, das muss man erklären, sind dafür bekannt, vor Kongressen kurdischer Nationalisten, islamischer Fundamentalisten oder internationaler Wissenschaftler anzustehen, um später enttäuscht zu verschwinden und dabei „ich verstehe das nicht“ vor sich hin zu murmeln.
Man könnte argumentieren – wie es nahezu jeder Gegner der Wahnvorstellungen des Senators tut –, dass Sprache viel zu dynamisch ist, um die Ächtung oder das Vorschreiben von Wörtern zu ermöglichen. Man könnte hinzufügen, dass viele ‚deutsche‘ Wörter Importe sind. Das ist im Übrigen keine Einbahnstraße, denn das Deutsche hat der Welt Begriffe wie „Blitzkrieg“, „Nazi“, „Flak“, „Ersatz“ und „Kindergarten“ vermacht. Aber die ganze Debatte geht am Ziel vorbei. Man könnte die Anwälte der Reinheit lächerlich machen, wenn sie vorschlagen, „Luftkissen“ statt „Airbag“ zu sagen oder „Programm“ statt „Software“. Die Übersetzung von „Airbag“ ergibt einen Begriff, den niemand versteht, und eine Software ist nicht notwendigerweise ein Programm. Man müsste sagen, dass die Folge solcher Vorstellungen ein Verlust an Genauigkeit wäre, wenn die Kontroverse selbst nicht sinnlos wäre. Man könnte die ethnischen Krieger daran erinnern, dass Deutsch als Wissenschaftssprache gestorben ist, wie es der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Julian Nida-Rümelin, getan hat. Man könnte das Argument ausdehnen und behaupten, dass verschiedene Sprachen an sich ein Fluch seien. Wenn Englisch die vorherrschende Weltsprache ist wegen einer imperialistischen – ähm – Vergangenheit, dann soll es eben so sein. Um das kulturelle Erbe zu bewahren, würde es reichen, an Universitäten den Leuten Dialekte beizubringen, die sich für tote Sprachen interessieren. Aber die gesamte Diskussion macht keinen Sinn.
Man könnte wie Herr Nida-Rümelin sagen, dass ganze Thema sei nahe am Widerstand gegen fremde Einflüsse, wenn nicht gar an Xenophobie. Man könnte auch die Vermutung äußern, dass diejenigen, die befürchten, Anglizismen könnten zu einer Zweiklassengesellschaft führen, die letzten zwei Jahrzehnte auf dem Mars verbracht haben. Sonst könnten sie kaum ernsthaft annehmen, Deutschland sei eine klassenlose Gesellschaft. Oder wenn sie glauben, eine relativ geringe Zahl englischer Begriffe könne soziale Unterschiede ausweiten, wo doch jedes Schulkind – im Gegensatz zu alternden Politikern – die Texte von Eminem oder Britney Spears kennt. Aber es ist eine Kontroverse über ein nicht existierendes Problem.
Man könnte Herrn Werthebach an das Schicksal von Jacques Toubon erinnern. Der ehemalige französische Kulturminister, der eine Gesetz erwirkte, das das Französische schützen sollte, gab regelmäßig falsche Antworten, wenn er nach französischen Ersatzbegriffen für Wörter wie „marketing“ gefragt wurde. Obendrein wurde Monsieur Toubon (tou = alle, bon = gut) von der Presse „Mister Allgood“ getauft. Bei näherer Betrachtung des Namens von Herrn Werthebach (Werthe = values, Bach = stream) sollten die Alarmglocken klingen, weil manche Mitglieder des Senats bereits angefangen haben, ihn „Mister“ statt „Herr“ zu nennen. Aber warum sich auf einen Streit unter Narren einlassen?
Man kann vorhersehen, dass der ganze Vorstoß, wenn er sich denn durchsetzen sollte, ein Fehlschlag werden muss. Wer würde „elektronische Post“ statt „E-Mail“ sagen? Unzählige Wörter (DTP, Marketing, Internet, Hardware) haben nicht einmal ein deutsches Pendant.
Die ganze Kontroverse ist zwecklos, wie mir ein Mann mitteilte, der sich einer kulturellen oder politischen Sache verschrieben hat, die so komisch ist, dass ich vergessen habe, was es war. Als ich ihn vor einigen Jahren in Haridwar traf, bewies er mir, wie falsch mein erster Eindruck war, als er sagte: „Sanskrit ist die schönste Sprache der Welt.“ Er war mit Sicherheit nicht unterbelichtet, denn er hatte offensichtlich die Milliarden von Sprachen studiert, die je auf dieser Welt gesprochen wurden, um zu diesem Schluss zu kommen.
Warum also eine schwächere Sprache bewahren? Oder sie durch eine anderes minderwertiges Gequatsche ersetzen? Wenn Deutschland sofort beginnt, alle Lehrer darin zu unterrichten, könnte Sanskrit in zwei bis drei Generationen zur Hauptsprache werden. Wie aber, nebenbei gefragt, sagt man DTP auf Sanskrit?
Übersetzung aus dem Englischen:Martin Hager
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen