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Ciao, Werner

von THOMAS SCHMID

„Guten Tag, Herr Raith, ich möchte Sie gerne kennen lernen, ich bin von der taz und bin gerade in Rom.“ – „Um 17 Uhr am Bahnhof von Terracina, ich hol dich ab. Ich bin ein kleiner dicker Bayer mit Bart, du kannst mich gar nicht übersehen, und überdies heiße ich für dich sofort Werner, damit das klar ist!“ Das war 1985 und der Anfang einer schwierigen Freundschaft, die bis zu seinem Tode am Samstag dauerte. Vom Bahnhof aus fuhr mich Werner mit seinem alten Ford direkt zum antiken Jupitertempel hoch, der über der Stadt thront. Eine Viertelstunde hin, fünf Minuten Pause, eine Viertelstunde zurück. Danach wusste ich, dass Werner zum dritten Mal verheiratet war, drei Töchter hat, mit dem Wagenbach Verlag im Clinch lag, selbst einmal einen Verlag gegründet hatte, für diverse Rundfunkstationen arbeitete, gerade an einem Buch über die Mafia schrieb, zweimal habilitiert war, vorübergehend in Palermo unterrichtet hatte, gerne kochte, als Kind einem versteckten Nazi-Gegner Essen gebracht hatte und vieles andere mehr. Denn Werner Raith redete unheimlich schnell.

Kurz nach dieser Begegnung wurde Werner taz-Korrespondent. Und wenn der erste Redakteur oder die erste Redakteurin am Morgen in der Wattstraße im Berliner Wedding, wo die Zeitung damals noch ihren Sitz hatte, eintraf, lag mit Gewissheit schon ein Fax aus Terracina mit vier oder fünf Vorschlägen für einen aktuellen Artikel vor. Werner schrieb fast so viel und fast so schnell wie er redete. Und neben der journalistischen Arbeit brachte er die Kinder zur Schule oder holte sie ab, kochte und fütterte die zwei Dutzend Pferde der Reitschule seiner Frau und schrieb jährlich ungefähr ein Buch. Nicht, dass er bei all der Arbeit keine Zeit mehr für ein Gespräch hatte. Ganz im Gegenteil: Hatte man ihn mal am Draht, wurde man ihn kaum wieder los. Werner sprudelte Ideen, Kritik, Anekdoten und Ärger heraus.

Werner Raith beherrschte alle journalistischen Genres: Reportagen, Kommentare, Interviews, Analyse. Und er schrieb für alle Ressorts: Politik, Wirtschaft, Sport, Kultur, Reise. Vor allem aber war er der unkonventionellste Korrespondent, den die taz je hatte: Er lief bei sommerlicher Hitze in bayerischer Lederhose durch die Hallen des italienischen Parlaments; er ließ am Flughafen von Rom den damaligen österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky über Lautsprecher ausrufen, um ihn zu einem bestimmten Schalter zu bitten, wo er ihm mit dem Mikrofon auflauerte; und den Berliner Oberstaatsanwalt Hans-Jürgen Fätkinheuer fragte er bei einer öffentlichen Diskussion geradeheraus: „Wie viel verdienen Sie eigentlich?“ Und als der verstockt errötete, meinte Werner lachend: „Ich kriege zweitausendzweihundert.“

Dass Werner trotz des mageren Gehalts und trotz vieler lukrativer Angebote der taz anderthalb Jahrzehnte die Treue hielt, lässt sich nur mit seiner Vorliebe fürs Unkonventionelle, Schräge, Innovative erklären. Er hat die taz gemocht und geliebt. Anders lässt sich die Verve, mit der er sich vom fernen Rom aus in die Berliner Debatten um redaktionelle Konzepte und verlegerische Strategien einmischte, gar nicht erklären. Er konnte nerven. Dutzende Diskussionspapiere und Pamphlete faxte er in die Redaktion. Und wenn er zu wichtigen Auseinandersetzungen als Vertreter der Auslandskorrespondenten einflog, donnerte er seinen Ärger in der ungeschliffensten bayerischen Mundart in die Runde – am Abend beim Wein charmierte er dann und verteilte an die Redakteurinnen Rosen.

In den letzten Jahren seiner taz-Mitarbeit beschlich Werner Raith zunehmend Resignation. Auch eine gewisse Verbitterung war nicht mehr zu übersehen. Entweder lehnte er konzeptuelle Neuerungen ab oder kritisierte Personalentscheidungen. Immer öfter stießen seine Vorschläge ins Leere, fanden keine Resonanz. Eines Tages rief er mich an: „Du, ich schmeiß den Bettel hin.“ Ich mochte ihn davon nicht abhalten, nachdem ich selbst wenige Jahre zuvor im Streit gegangen war. Er wechselte zum Berliner Tagesspiegel. Als ich ihn einige Tage vor seinem Tod anrief, redeten wir wie immer über die taz und nun eben auch über den Tagesspiegel. Mit der neuen Zeitung habe er viel weniger Ärger als er mit der taz gehabt habe, sagte er. Ich glaubte es ihm sofort. Die Erklärung ist einfach: Geliebt hat er den Tagesspiegel eben nie. Er hat ihn geschätzt.

Werner Raith war ein Vollblutjournalist, auch wenn er in den letzten Jahren immer wieder klagte, wie müde er der Schreiberei sei und wie gerne er sich auf seinem kleinen Landsitz in Borgo Hermada bei Terracina südlich von Rom zur Ruhe setzen würde. Aber er kannte keine Ruhe. Er war ein schwieriger, knorriger Zeitgenosse mit Ecken und Kanten, doch wies er niemanden zurück, der ihn um Rat fragte. Vielen hat er den Weg in den Journalismus geebnet. Am Samstagabend zwei Stunden vor Mitternacht ist Werner Raith im Alter von sechzig Jahren gestorben. Ganz unerwartet und ohne langes Leiden. Er las im Bett ein Buch, als ihn der Tod ereilte. Mein Mitgefühl gilt seiner Frau Xenia und seinen drei Töchtern: Xenia, Jessica und Rebecca.

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