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Optik ins Schwimmen gebracht

Verfließende Grenzen zwischen subjektivem Trauma und Obsession: Metropolis-Filmreihe zur aktuellen „Hypermental“-Ausstellung in der Hamburger Galerie der Gegenwart  ■ Von Urs Richter

Die Kunst als Ort des Un-Ortes, der Utopie – und die Frage, inwiefern der Ursprung dieses Un-Ortes in einer durchaus zu verortenden Realität zu suchen sei, ist Thema der momentan laufenden Ausstellung Hypermental in der Hamburger Galerie der Gegenwart in der Kunsthalle. Realität, so lehrt es die Nachmoderne, ist ein soziales Produkt, nichts Naturgegebenes. Die mimetische, nicht-abstrakte Tradition der Bildenden Kunst reagiert auf dieses Credo, indem sie zweifelt am Status ihres Repräsentationsvermögens und indem sie zweifelt am Status der dargestellten Wirklichkeit. Wenn Jeff Koons seine Arbeiten nach den Kriterien des Blickfängers entwirft, imitiert er die Strategie von Werbefuzzis auf der Suche nach dem perfekten Oberflächenreiz. Die Differenz zwischen Werk und Ware zerrinnt, bis der ontologische Mehrwert der Kunst fragwürdig wird. Konsequent hat Richard Prince einen Marken-Cowboy an die Galeriemauer gepostert.

Die andere Strategie übt sich in der pointierten Rekonstruktion der unausgesprochenen Überzeugungen, die unserer Realität zu Grunde liegen. Im unverbindlichsten Falle bringen Bridget Rileys wandgroße Wellenlinien die Optik unseres Weltbildes ins Schwimmen. Schon zielstrebiger steigern die Arbeiten Yayoi Kusamas die Willkürlichkeiten der Psychoanalyse ins Absurde: Die Bootsform aus der Freudschen Traumdeutung ist phallisch überwuchert bis zur Unkenntlichkeit. Wie eine spöttische Replik auf Craig Venters peinlichen Materialismus wirkt Bruce Naumanns My name as though it were written on the surface of the moon: Ein Namenszug, Platzhalter des Subjekts, in neonleuchtende Buchstabenketten aufgelöst.

Welchen kulturellen Schablonen passen wir uns unbemerkt an? Und welcher materialen Basis erwachsen sie? Und ist das Wesen der Kultur nicht gerade, dass es in ihr keinen Außenstandpunkt geben kann, auch wenn Naumann das ironisch zu versprechen scheint?

Auffallend ist, dass die Übersteigung des Mentalen vornehmlich in den Kategorien des Sehens gedacht wird. Wenn, wie oft behauptet, die Omnipräsenz visueller Medien an die Stelle eigenen Erlebens getreten ist, kann kein Zufall sein, dass die Begrifflichkeit des Gesichtssinns unsere Weltbeschreibungen dominiert. Wir pflegen ein Image, machen uns ein Bild von diesem und jener, erliegen falschen Vorstellungen. Unbewusstes sucht sich bildlich Ausdruck, vermuten wir und träumen wilde Dinge. Utopie übersetzt sich als Vision.

Derart erklärt die Auslegung des Mentalen als Augenscheinliches auch die Nähe der Bildenden Kunst zum mimetischsten aller Medien: dem Film. Das Metropolis zeigt begleitend zur Ausstellung Arbeiten von Cindy Sherman und Matthew Barney. Shermans Office Killer ist eine Splatterkomödie und erstaunlich genretreu. Ein graues Büromäuschen entdeckt sozusagen beiläufig den Spaß am Killen und inszeniert ihren ganz privaten Niedergang der New Economy. Der Film macht sich einen pittoresk dekorierten Spaß aus der brachialfeministischen Umkehr der Geschlechterrollen. Die unangenehm uneindeutige Grenze zwischen Darstellung und Realität, die Shermans Photoarbeiten konsequent durchzieht, verschwindet unterm Theaterblut.

Aus Barneys fünfteiligem Cremaster-Zyklus kommen Film 2, 4 und 5 auf die große Leinwand, der erste Teil ist als Video in der Galerie der Gegenwart zu sehen. In Barneys Kosmos ist Innen und Außen endgültig durchlässig geworden. Die subjektgebundene Konstellation aus Obsession und Trauma, der dem Surrealismus Ausdruck verschafft, ist hier einer fließenden Umwandlung populärer Mythen in libidinöse Allpotenz in High-Tech-Fetischismus gewichen. Membrane sind eine Leitmetapher der Filme. Wie der Entfesselungskünstler Houdini, Hauptfigur in Cremaster 2, die Stofflichkeit der Materie zu perforieren verstand, perforiert Barney die Ordnung der kulturellen Hierarchien. Die Utopie eines Dandys.

Ergänzend zeigt das Metropolis den klaustrophobischen Bunuel Der Würgeengel, die schlechtverdaute Baudrillard-Lektüre Matrix und das Veganer-Rache-Märchen Delicatessen. Wird fortgesetzt.

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