Das Sinnbild der neuen Medien ist eine Frau

Aus einem mickrigen Männchen mit Schlapphut hat die moderne Technik der Computerspiele Lara Croft gemacht. Sie ist schön, unabhängig und allen Männern überlegen, auch Mädchen und junge Frauen spielen gern mit ihr. Leider ist sie dennoch nur eine Kunstfigur der virtuellen Welt

von ASTRID DEUBER-MANKOWSKY

„Tomb Raider“, das Spiel, von dem es inzwischen vier Fortsetzungen gibt, gehört zur Gattung des „Action-Adventure“. Es kommt auf Geschicklichkeit, schnelle Reaktion und Kampf an. Lara Croft, seine Heldin, jumpt auf der Jagd nach Grabräubern und der Suche nach archäologischen Fundstücken durch schummrige Gemächer, verlassene Gräber und alte Paläste rund um den Globus. In London kämpft sie gegen Punks, im Südpazifik gegen Eingeborene, in der Antarktis gegen Seehunde, die sich als maskierte Konkurrenten entpuppen, oder auch mal gegen spukige Statuen oder gegen Affen.

Eine Frau war sie jedoch nicht von Anfang an. Ihr unmittelbarer Vorgänger hieß „Rick Dangerous“ und war ein kleines, rundliches Männchen mit Schlapphut und Pistole, das mehr an den Super-Mario erinnerte als an Indiana Jones, den seine Erfinder zum Vorbild nahmen. Ihre Firma Core Design landete damit schon 1989 einen Bestseller, später wurde sie sie vom britischen Marktführer Eidos aufgekauft, der 1996 die erste Folge von „Tomb Raider“ herausbrachte. Aus dem zweidimensionalen Rick war die dreidimensionale Lara geworden, die Handlung war ungefähr diesselbe geblieben, die Spielwelt jedoch hatte eine Revolution erlebt: Das Erscheinen von Lara Croft fiel mit dem Durchbruch der 32-Bit-Plattformen für Spielekonsolen wie der zeitgleichen Einführung der 3-D-Grafikkarten für PCs zusammen. Mit der dramatisch verbesserten Leistung der Hardware waren nun Spiele möglich, die „wie ein Film wirken“, wie Toby Gard, der Produzent von Tomb Raider, sagte. Von Anfang an achteten die Programmentwickler darauf, dass Tomb Raider sowohl auf dem PC als auch auf Play-Stations von Sony und Sega laufen konnte. Dadurch erschloss das Spiel die Kundschaft beider Lager, der PC-, und der Konsolenfans.

Auf dieser breiten Grundlage eroberte Lara Croft rasch den Rest der Medienwelt. Sie erschien auch auf Plakatwänden und Werbeseiten der einschlägigen Magazine, wo sie ein Eigenleben zu führen begann, das über ihre Spielrolle weit hinausging. Zwei Jahre nach der ersten Auflage des Computerspiels war sie das geworden, was man „kulturelle Ikone“ nennen kann, und Großbritanniens Wissenschaftsminister schlug 1998 allen Ernstes vor, Lara Croft in den Status einer Botschafterin zu erheben, um sie wissenschaftsökonomisch zu verwerten. Sie nämlich sei „der lebendige Beweis dafür, dass Großbritannien an der Spitze neuer Entwicklungen steht“.

Der ökonomische Erfolg des Computerspiels allein erklärt den kometenhaften Aufstieg der Kunstfigur nicht. Sie ist zum Sinnbild der Medialität der gesamten Gesellschaft geworden, wie niemand zuvor bringt sie die durch ihre jeweiligen Leitmedien konstituierten Öffentlichkeiten der gedruckten Presse, des Fernsehens, der Mode, der Pop- und Technomusik, der Computer und des Internets auf einen einzigen gemeinsamen Nenner. Damit stellt sich die Frage, warum ausgerechnet eine Frauenfigur eine derart überragende Karriere machen konnte.

Die Antwort ist komplex. Neben den ökonomischen Gründen gilt es zu untersuchen, welche medialen und sexuellen Gründe diesen Erfolg möglich gemacht haben. Beide sind nicht immer streng voneinander zu trennen. Denn die Faszination der Kunstfrau liegt in der Bindung des Begehrens ihrer Betrachter und Benutzer an das Medium selbst beziehungsweise an das Bild, das es vermittelt. In hohem Maße bestätigt deshalb Lara Croft Marshall McLuhans berühmten Satz: „Das Medium ist die Botschaft.“ Negativ formuliert bedeutet er, dass das Medium ohne Botschaft ist, positiv, dass der Inhalt des Mediums nichts außerhalb des Medialen, sondern wiederum ein Medium, wenn auch ein anderes Medium ist.

Ein eigenes Leben

Was nun ist die Botschaft von Lara Croft? Es lohnt sich, ihre Vorgeschichte zu betrachten. Es galt, aus dem männlichen Serienhelden Indiana Jones aus Hollywood eine interaktive Spielfigur zu formen. Nach etlichen Entwürfen entschied sich der Produzent Tom Gard für eine Geschlechtsumwandlung – alle männlichen Figuren, so wird berichtet, sahen unweigerlich aus wie Arnold Schwarzenegger. Der Spielheld wäre damit auf eine jeweils identifizierbare Person einer identifizierbaren Geschichte festgelegt worden. Gards Vision eines interaktiven Films verlangte aber eine allgemeinere, universellere Figur vieler möglicher, vom Spieler zumindest mit gestaltbarer Geschichten, mithin auch nach einem Charakter, der nicht von vornherein auf ein Individuum fixiert ist. Erst die Konstruktion einer Traumfrau jenseits aller Mängel und Schwächen der Realität bot den Entwicklern von Tomb Raider das Material an, mit dem sie ihr Projekt realisieren konnten.

Die Botschaft von Lara Croft, so lässt sich zusammenfassend sagen, ist also zunächst einmal der interaktive Film, die nunmehr mögliche Verbindung zweier Medien, nämlich des Kinos und des Spiels – die Figur aus dem Computerspiel hat aufgehört, nur ihre Rolle in ihrem eigenen Medium zu spielen, sie verkörpert vielmehr den Übergang aus einer Welt der schöpferischen Gestalt und Struktur, der filimischen Darstellung also, in eine Welt der autonom agierenden Gestalten und der virtuellen Realität.

Anders als im Film erscheinen die Kunstwesen des interaktiven Films nicht nur lebendig, sondern beanspruchen Autonomie und damit ein eigenes Leben. Sie treten aus der Hardware heraus und machen sich die Realität jenseits des Bildschirms zu Eigen. An der Schnittstelle von Autonomie und Automation entstanden, werden sie zu Freunden und Vertrauten. So heißt es etwa im „Star Portrait“: „Lara Croft ist eine Zauberfrau. Aber vielen ist dieses Mädchen vertrauter als selbst gute Bekannte und realer als die meisten Verwandten.“

Nur konsequent erscheint deshalb, dass die Werbemanager der Produktionsfirma auf die Idee kamen, ihre künstliche, aus idealisierten Bildern verschiedener Frauenkörper zusammengesetzte Lara wiederum in realen Frauen zu inkarnieren.

„Wer verkörpert Lara Croft am besten?“ Mit dieser Frage wurden nicht nur junge Frauen dazu aufgerufen, an einem Wettbewerb als Modell für Lara Croft teilzunehmen, sie ermunterte zugleich die Fans, ihre Stimme für jene Frau abzugeben, deren im Netz veröffentlichte Fotos sie am meisten an Lara Croft erinnern. Die erste Lara Croft aus Fleisch und Blut hieß Natalie Cook. Von ihr ist nicht viel bekannt. Mehr dafür von Rhona Mitra, ihrer Nachfolgerin. Sie hatte sich von ihrem Vater, einem Chirurgen, im Alter von 22 Jahren die Brüste erweitern lassen, um dem Vorbild näher zu kommen. Als sie aber öffentlich versicherte, nunmehr selber Lara Croft geworden zu sein, wandte sich die Firma Eidos von ihr ab und rief zwei andere Frauen als die die einzig echten Lara-Models aus: die Französin Vanessa Demouys und die Engländerin Nell McAndrew.

Izwischen sind auch sie schon wieder abgelöst worden. Bewusst achten die Manager von Eidos darauf, dass immer mehrere Frauen dem Idol Teile ihres Körpers leihen und dass die Models, die schließlich als offiziell abgesegnte Lara auftreten, nach spätestens einem Jahr durch eine andere, jüngere Frau ersetzt werden. Damit ist sichergestellt, dass die wahre Lara nicht unerwünschte Konkurrenz seitens ihrer jeweiligen Verkörperungen erfährt.

Das Geschlecht der User

Das Problem, das sich mit diesem Phänomen für eine sich kritisch verstehende Geschlechterforschung stellt, ist schnell formuliert. Tomb Raider bietet mit seiner hüpfenden Heldin eine überaus positive weibliche Identifikationsfigur. Sie öffnet Mädchen den Zugang zur Welt der Computerspiele. Tomb Raider, so wird zumindest immer wieder beteuert, kommt auch bei Mädchen und jungen Frauen gut an. Nun ist die Biografie der fiktiven Lara durchaus reizvoll: Die Tochter eines britischen Lords mit erstklassiger schulischer und sportlicher Ausbildung wuchs in der sicheren Welt der Arsitokratie auf und hätte eine standesgemäße Familie gegründet, wäre nicht ein Flugzeugunglück im Himalaja dazwischengekommen, das die junge Lara als Einzige überlebte. Sie schlug sich zwei Wochen lang allein durch – eine Erfahrung, die sie verwandelt hat. Von nun an reiste sie als Abenteurerin durch die Welt: lebenshungrig, freiheitsdurstig, unabhängig, selbstbewusst, schön und auf der Suche nach immer neuen Gefahren.

Junge Spielerinnen genießen es, dieser Heldin nachzufolen. Sie fühlen sich, so sagen sie selbst, als Frau repräsentiert. Und zwar als eine Frau, die unabhängig ist, die sich den Männern überlegen fühlt, emanzipiert ist. Das bewog eine Emma-Redakteurin sogar zu der Aussage, das Geschenk einer derartigen Heldin in unserer visuellen Wachstumswelt sei so groß, dass man Laras überdimensionierte weibliche Attribute als Tribut an die Männerwelt in Kauf nehmen müsse.

Tatsächlich, Lara Croft vereint beides in einer einzigen Ikone: Sie ist Traumfrau für Männer und weiblicher Held für Frauen, eine sexy Figur aus dem Computer und ein rebellisches „Grrrl“ zugleich. Sie befriedigt damit Bedürfnisse von Männern wie von Frauen, beiden erfüllt sie überdies den gemeinsamen Wunsch nach überirdischer Leichtigkeit.

Als genuines Medium der Interaktion leistet Lara Croft aber noch mehr. Sie verwandelt beide Geschlechter in eine neue soziale Figur: den User. In dem Augenblick, in dem wir das neue Medium bedienen, wird unser Geschlecht uninteressant, und zwar aus ökonomischer wie medialer Perspektive. Das universale Medium Lara Croft kennt nur User, es nivelliert damit die Geschlechterdifferenz, allerdings nur, um sie auf einer höheren Eben zu zementieren. Denn es ist eben kein Zufall, dass die kulturelle Ikone der Mediengesellschaft weiblich ist. Und genau dies ist die Botschaft der überdimensionierten weiblichen Attribute der Lara Croft: Das tatsächliche Geschlecht der Anwender dieses Programms ist vollkomen gleichgültig, wichtig ist allein, dass sie das Medium selbst in Gang setzen – sowohl was die einzelne Spielhandlung betrifft als auch den ökonomisch relevanten Vertrieb weiterer Folgen desselben Musters.

Der Mensch wird damit, wie McLuhan es beschrieben hat, „sozusagen zum Geschlechtsteil der Maschinenwelt, wie es die Bienen für die Pflanzenwelt sind, die es ihr möglich machen, sich zu befruchten und immer neue Formen zu entfalten“.

So reizvoll die Karriere der Lara Croft auf den ersten Blick erscheinen mag, wenn es das ist, was ihre überdimensionalen weiblichen Attribute am Ende bezeichnen sollen, dann sollten wir sie viellicht besser doch nicht in Kauf nehmen. Angesichts dieses Befundes plädiere ich mit Judith Butler dafür, die sexuelle Differenz nicht zu erledigen oder gar in ein hybrides Medium der universalen, aber lediglich virtuellen Interaktion aufzulösen. Besser wäre es, sie stattdessen als jene irritierende Frage wahrzunehmen, deren Anwesenheit, wie Butler betont, nicht die Anwesenheit von Strukturen und Formen ist, sondern die da ist als etwas, „das uns erstaunen und Fragen stellen lässt und das nicht zur Gänze geklärt werden kann“. Die Anwesenheit dieser Frage öffnet nicht nur einen Fantasieraum der symbolischen Fiktion, sondern auch den Weg zur Wahrnehmumg der vielen, jeweils einzelnen Wünsche und der ihnen verwandten Träume als Chance. Als Chance der Realität nämlich, die jene seltsam traumlose Traumfrau Lara Croft ihren Usern trotz der fortgeschrittenen Technik verbaut.

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