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Mit Bella Blümchen durch den Dschungel

Wenn die Sehnsucht mit dem Zufall – in seinem Film „Fast Food, Fast Women“ hat Amos Kollek in New York die Sonne angeknipst

Die Zeit zwischen sechs waagerechten und vier senkrechten Kästchen: Sue sitzt auf einer Bank und löst Kreuzworträtsel. „Zeig mir deine Brüste“, sagt der Schwarze neben ihr auf der Bank. Europäische Hauptstadt mit sechs Buchstaben, fragt das Rätsel. „Parris“, sagt der Mann. Sie lächeln. Da zeigt Sue ihre Brüste. Gerade lang genug, dass er sie sich merken kann. Ein Sonntag im Park. Einer von einigen in Amos Kolleks Filmen. Sonntage, an denen Protagonistinnen wie „Sue“ vor ihrem Verschwinden im Elend und in der Beliebigkeit noch einmal ihr Schicksal befragen, ob es da nicht doch etwas gibt, für das sich die Mühe mit dem Überleben im Lowereast von New York lohnt. Am Ende lässt Kollek Sue auf der Parkbank und im Bild einfrieren. Als „Fiona“ taumelt sie in seinem nächsten Film durch Crackhöhlen, Hurenhäuser und den besonders schlechten Trip frühkindlicher Erfahrungen. Im Stillstand ähnelt ihre Welt den Fotografien von Nan Goldin.

Davon ist in „Fast Food, Fast Women“ nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil, statt Geschichten von untergehenden Frauen hat Kollek einen Reigen der Sehnsüchte und Möglichkeiten geflochten. Leicht, hübsch und ein bisschen harmlos. „Wir sind in den anderen Filmen so weit gegangen, bis es schon schmerzte, bis es nicht mehr weiterging, als stünden wir plötzlich vor einer Wand“, sagt Hauptdarstellerin Anna Thomson. „Wir mussten zurück und einen neuen Weg suchen.“ Und der führte beide in ein New York hinter den Spiegeln. Eine Parallelwelt, in der jeden Moment das Unglaubliche geschehen kann.

Auch in Amos Kolleks neuem Film beginnt alles mit Menschen am Sonntag. Nur hat diesmal jemand die Sonne angeknipst. Ganz New York strahlt, als spielte es die Hauptrolle in einem Musical. Sogar Anna Thomson sieht erholt aus. Als Bella läuft sie am Anfang im Blümchenkleid durch das Bild und legt sich mitten auf die Straße. Dem bleichen Autofahrer, der sie beinahe überfahren hätte, erklärt sie, dass sie „bloß ein bisschen Spannung“ in ihren eintönigen Sonntag bringen wollte, und stöckelt fröhlich davon. Mit Tragik hat sie nichts zu schaffen. Eher mit der Melancholie der Großstadtgeschöpfe, wie sie durch Woody Allens „Manhattan“ schwirren und sich dabei mit jeder Form von Beziehung notorisch schwer tun.

Eigentlich ist Bella eine studierte Finanzexpertin, doch rein kapitalistische Dienstleistungen sind ihr zuwider. Lieber arbeitet sie als Kellnerin im Diner, bemuttert Alleinstehende mit Kaffee, klopft stotternden Huren auf die Schulter oder flirtet mit eingeschüchterten Senioren, die von ihresgleichen nur noch mit Viagra-Witzen gehänselt werden. Der Diner wird zum Wartesaal auf etwas, was die eigene Sehnsucht endlich in eine neue Richtung schnipsen könnte. Und diesmal hat Kollek ein Einsehen und ruft jeden auf. Egal, wie alt oder neurotisch er ist.

Paul und Emily, beide an die 70, trauen sich vor lauter Sorgen um das eigene Verfallsdatum erst nicht von der Stelle. Bis sie doch im Bett landen, wenn auch erst mal nur zum Zeitunglesen. Oder der Rentner Seymour, der sich die Augen reiben muss, als die Stripperin Wanda eines Tages von der Drehbühne herunterkommt, um mit dem alten Spanner Kaffee zu trinken. Altherrenfantasien werden wahr. So viel Ironie muss sein, damit diese Komödie nicht zur banalen Lösungslotterie verkommt.

Verzagt sind Kolleks Geschöpfe noch immer. Aber sie tragen ihre Macken und Defizite mit freundlichen Fatalismus. Eines Tages wird schon jemand kommen und sie abholen. Auf diesen einen und auf den Zufall ist hier Verlass. Der Taxifahrer zum Beispiel, der nichts gegen eine direkte Liebeserklärung inklusive Familienplanung hätte. Doch Bella hält ihre eigenen Kinderwünsche nicht gerade für den Eisbrecher, um eine Äffäre oder gar etwas Ernstes in die Wege zu leiten. So schweigt sie lieber und wartet. Bis wieder eine Glückstüte über sie geschüttet wird.

Und nachts, wenn sie ihr Handtuch vom Balkon zum heimlichen Voyeur herunterwirft, sieht sie auch aus wie ein Wesen, mit berechtigtem Anspruch auf eine Menge Sterntaler. Auf diesem Weg könnten Thomson und Kollek sicher noch eine Weile traumverloren schlendern. Nur sieht man ihnen auf Dauer lieber dabei zu, wie sie gegen die Wand rennen.

BIRGIT GLOMBITZA

„Fast Food, Fast Women“. Regie: Amos Kollek. Mit Anna Thomson, Louise Lasser, Robert Modica u. a. USA 2000, 95 Min.

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