: „Ich bin schamlos, ja“
Aber: „lot of Verständnis“. In Schweden gibt es mittlerweile Heterosexuelle, die sich als heteroschwul bezeichnen – Jonas Gardell ist ihr Star. Zurzeit ist der Entertainer und Schriftsteller in Deutschland
von JAN FEDDERSEN
Man sollte ihn gleich auf seine Augen ansprechen. Fältchenumringt, aber von welcher Farbe?
Jedenfalls, so viel ist von Bekannten in Schweden zu erfahren, kann Jonas Gardell in Stockholm kaum zum Milchholen gehen, ohne dass er auf der Straße angeguckt, bestaunt und öfters auch um Autogramme angegangen wird. Jonas Gardell findet das nicht besonders schlimm, „ich bin ja seit 15 Jahren bei uns the wunderkind“. Der 37-Jährige sitzt jetzt im „Kern“, einem Café im Berliner Homoviertel zwischen Nollendorf- und Wittenbergplatz. Er hat viel zu tun, sein Theaterverlag hat es geschafft, das in seiner Heimat umjubelte Stück „Cheek to Cheek“ in Lübeck aufführen zu lassen. Heute also Interviews, morgen geht es zum Botschafter an den Rand des Tiergartens („don’t be afraid, aber es wird a little stiff“), aber was schert ihn das, ist doch das Risiko der Diplomaten, ihn auszuhalten, die haben ihn ja eingeladen, danach geht’s zum Empfang, daneben Performances in der „Kalkscheune“, einem homosexuellen Amüsierbetrieb, außerdem, so freut er sich, „something in the Schwules Museum“.
Gardell ist mal wieder ganz bei sich. Seit er denken kann, wollte er genau dieses Leben: rund um die Uhr beschäftigt sein, angetrieben, fast immer munter, selten depressiv, in Schweden ständig auf Achse, eine Betriebsnudel des Entertainment. Sagen wir: eine Mischung aus Dirk Bach und Harald Schmidt. Vom Kölner das drastische homosexuelle Selbstbekenntnis, vom Schwaben die Bösartigkeit in dem, was Gardell unter Comedy versteht.
Bitte? Danach sieht er nicht aus. Gardell kann fast immer den Schwiegersohnbonus einstreichen. Ein Hänfling von Statur, kurzes weizenblondes, wahrscheinlich gefärbtes, gut gefärbtes Haar, ein sehr eleganter schmaler Goldreif am Finger („Mein Ehering, hübsch, nicht wahr?“) über der modischen Schlabberhose ein T-Shirt in Weißblau, darauf ein Motiv („Das ist ein Geschenk von meinem Mann Mark“) aus dem kitschigsten Musical aller Zeiten, nämlich „The Sound of Music“ mit Julie Andrews. Gardell hat mehrere Romane veröffentlicht, den ersten, als er kaum 22 war. Auf Deutsch sind (im Schneekluth Verlag) drei von ihnen erschienen, der präziseste war „Die lustige Stunde“, eine bittere und beklemmende Abrechnung eines Klassenclowns, der über 150 Seiten beichtet, wie sehr es ihn peinigt, nur deshalb Scherze auf Kosten der Schwächsten in seiner Klasse gemacht zu haben, um bei den Platzhirschen in der Schule nicht anzuecken.
Gardell muss nicht zaudern, um zuzugeben, dass das eine Erinnerungsarbeit eines schwulen Mannes war, der früh von seinem Anderssein wusste und doch daraus nur den Schluss zog, sich anzupassen. Dabei finden sich in seinen Romanfiguren nie homosexuelle Personen, „aber die brauchte ich auch nicht, weil ich mir nie beweisen musste, so und nicht anders zu sein“. Für seine Landsleute war dieser Mann zunächst ein Schock. Weder hielt er sich die dortigen Gepflogenheiten der gediegenen Rede noch an die Sitte, um des lieben Friedens willen die Dinge unbenannt zu lassen. Er nimmt aufs Korn („Ich bin schamlos, ja“), was ihm auffällt, „and that is the böse Blick“, eine Weise der Inspektion, „die viele bögar beherrschen“, weil sie vor Nachstellungen und Enttäuschungen ihrer Umwelt schütze.
Bögar? So heißen Schwule auf Schwedisch, und Gardell nutzt dieses Label, das ältere Homosexuelle in Schweden abstoßend finden, weil es einst diffamierend gemeint war. Aber diese Zeiten seien, Gott sei Dank, vorbei, so Gardell weiter in seinem Gemisch aus Schwedisch, Englisch und Deutsch, ganz zauberhaft lächelnd. „Our most important pop singer is a lesbian, me as a very popular entertainer is schwul“, und momentan ist einer in der Schlagerparade ganz oben, „auch bög, aber die Konservativen feiern ihn wie verrückt, ist das nicht verrückt“.
Ja, Gardell ist „stolz“ auf sein Land: „Das hätte doch keiner gedacht vor 30 Jahren, dass wir mal so frei sein können.“ Er war ein unermüdlicher Kämpfer, auf der Bühne, mit Petitionen, im direkten Lobbying bei Politikern, um in Schweden Homosexuellen die Ehe zu ermöglichen. Mittlerweile gebe es sogar Heterosexuelle, die sich als heterobög bezeichneten, heteroschwul. „Die mögen unseren Humor, unsere Art, Musik zu hören, Schlager, Pop, Disco. Die waren neidisch auf unsere Leichtigkeit, auf die Kunst, hohe Töne lächerlich zu machen – und das alles haben sie kopiert.“
Dabei gebe es diese Freiheit nicht gratis. „Ich bin nicht naiv, ich weiß doch, dass diese Unabhängigkeit von den Konventionen auch gewöhnungsbedürftig ist.“ Aber „wir sind Helden“, weil Schwule es schaffen, sich loszulösen von dem, was von ihnen verlangt wird: bloß nicht aufzufallen. Womöglich spricht Gardell aus der Position desjenigen, der sich in der liberalen Schickeria frei bewegen kann. Aber auch er musste kämpfen, das ist nachzulesen in seinem Roman „Wer zuletzt liebt“, der trostlosen Geschichte einer Frau, die erst spät die Verachtung realisiert, die ihr Mann in Form von Liebe über sie ausschüttet. Und schließlich, „ich bin ja auch älter geworden“, habe er „lot of Verständnis“ für alle, denen seine Energie auf die Nerven gehe oder die die Kraft Gardells überfordere.
Zurück zum schwedischen Reformwesen: Ein schwuler Lebensstil als vorbildlich? „Ja, für viele Heteros gilt das wohl mehr und mehr.“ Was nicht heißt, dass er keine traditionellen Symboliken mehr benötigte. Seinen Lebensgefährten, „no question, please“, bezeichnet er als „husband“. Er ist „more than a friend, much more“. Und zieht bei diesem Satz lachend am Ärmel seines Shirts und zeigt die Tätowierung: „Mark“. Faucht aber die Fotografin an, als sie die Szene ablichten will. Da guckt Gardell sehr entschieden: „Nein, das ist zu intim.“ Entschuldigt sich aber zehn Sekunden später dafür, falls er zu scharf gewesen sein sollte.
Gardell ist Profi genug, über die Pflichten der Promotion nicht in Jammern auszubrechen. Aber irgendwann will er in die „Sauna, jawoll“, sich austoben, womit er keine Umstände meint, die einem fleischlichen Treuegelöbnis seinem Mann gegenüber gleichkämen. Zugleich sagt Gardell, und dabei werden seine Gesichtszüge sehr, sehr weich und verliebt, vermisse er seinen Mark „in every second“. 15 Jahre seien beide nun zusammen, und vielleicht liegt das Geheimnis dieser Dauer auch darin begründet, dass sie beide unentwegt unterwegs sind und sich nie lange auf der Pelle hocken. Gardell ständig auf Tour, sein Mann als hohes Tier bei der TV-Gesellschaft SVT.
Der, so Gardell, hat die Frage nach seiner Augenfarbe einmal so beantwortet: „Schaue ich dich an, sehe ich mich in dir wieder. Da strahlt mir Glück entgegen. Ich würde sagen, die Farbe sollte auch so heißen.“
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