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Heavy listening superstars

Große Beats und feine Unterschiede, militanter Pop und anspruchsvolle Unterhaltung: Die DJs und Produzenten Le Hammond Inferno haben ihr erstes politisches Tanzalbum veröffentlicht. Ein Porträt

von GERRIT BARTELS

Der Witz war einfach zu gut, die Anspielung zu offensichtlich: „Easy Leasing Superstar“ nannte das Berliner DJ-Duo Le Hammond Inferno im letzten Jahr eines ihrer Stücke. Dieser Track wurde zwar vom Turnschuh-konzern Nike für einen seiner Werbespots ausgewählt. Der eigentliche Zweck der Übung aber ging daneben: den Leuten, die die Musik von Le Hammond Inferno lediglich als Inbegriff für einen alten Poptrend hörten, einen Streich zu spielen.

„In Deutschland hat man uns immer wieder in derselben Ecke. Jeder, aber wirklich auch jeder schrieb oder sprach von ,Easy Listening Superstar`.“ Als Marcus Liesenfeld das sagt, macht er einen reichlich griesgrämigen Eindruck und fläzt sich auf einmal gar nicht mehr so entspannt auf dem Sofa im Hinterzimmer seines Büros herum. Allerdings gibt sich das schnell wieder – er und sein Le-Hammond-Inferno-Kompagnon Holger Beier sind keine Menschen, die sich lange ärgern: Easy going geht vor Easy listening. Liesenfeld und Beier wirken locker und aufgeräumt an diesem kalten Morgen, an dem sie anlässlich der Veröffentlichung ihres ersten Albums „My First Political Dance Album“ zu zahlreichen Interviews in ihr neues, im Berliner Bezirk Kreuzberg gelegenes Bungalow-Labelbüro geladen haben.

Nur zu gut wissen sie, dass sich die anstehenden Gespräche nicht nur um ihr Album drehen werden, sondern auch um das Wohl und Wehe ihres 1996 gegründeten Labels Bungalow: „Beides gehört eng miteinander zusammen“, sagt Beier, „unsere Sets als Le Hammond Inferno waren ja die beste Promotion für Bungalow: Da haben wir immer auch Bungalow-Alben aufgelegt.“

Genauso gut wissen sie, dass sie nicht umhin kommen, in diesem Zusammenhang noch mal über Easy Listening zu reden. Dieser Trend hatte seine Hochzeit in den Jahren 1994 und 1995 und wurde nicht zuletzt von Le Hammond Inferno mit losgetreten. Mal seltsame Musik, mal leichte Muse, aber immer und retro und geschmackvoll: Easy Listening war alles und vieles, wurde von den Hardlinern des Pop als „unpolitisch“ und „Pest“ abgetan, während Liesenfeld und Beier es seinerzeit als „Punkrevolution der DJs“ bezeichneten, „als Befreiung von diesen wissenschaftlichen DJs mit ihren superausgefeilten Sets“.

Vor diesem Hintergrund ist nach dem Nike-Track „Easy Leasing Superstar“ der Titel ihres Album „My First Political Dance Album“ ein Wink mit dem Zaunpfahl: ein Satz, ein Statement, ein Programm. Damit erst mal die geliebten Meinungsbildner merken, was Sache ist, haben Le Hammond Inferno diesen Titel in ihrem Platteninfo zusätzlich in den schillerndsten Farben ausgemalt: Von einem „militant politischen Dance Album“ ist da die Rede, ein Album, das „in der Tradition von den Bots, Bob Dylan und Rudi Dutschke“ stehe, von Anti-Konzern-Liedern, Anti-Banken-Hymnen und dergleichen mehr. „Das sorgte besonders in Italien für Irritation. Von den Bots hatte man dort noch nie was gehört“, freut sich Beier, und Liesenfeld bekommt sich auf seinem Sofa gar nicht mehr ein: „Uns wurden Fragen gestellt, wie es angehen könne, dass wir unter diesen Umständen unsere Musik für einen Nike-Werbespot hergeben konnten!“ Der BSE-Skandal tat dann ein Übriges: Auf dem Cover des Albums weiden glückliche Kühe auf sattgrünen Wiesen. Als wenn Le Hammond Inferno es geahnt hätten.

Doch bei aller Freude über solche gelungene Coups haben Albumtitel und die Musik von Le Hammond Inferno durchaus einen tieferen Kern. „Tatsächlich ist der Titel eine Reaktion auf den Umgang mit ,Easy Leasing Superstar‘“, sagt Beier, „eine Provokation. Das Album ist der Versuch, den Leuten da draußen mitzuteilen, dass es zwischen unserer Art von Dance-Musik und dem Mainstream-Dance oder Stumpfdance einen großen Unterschied gibt.“ Damit meinen Liesenfeld und Beier nicht nur den Ballermann-Techno aus der RTL-II-Werbung, sondern auch eine Menge anderer Alben, nicht zuletzt französischer Herkunft, auf denen um einen Hit herum lieblos der Rest produziert wurde. Die Betonung von „My First Political Dance Album“ liege auf dem Wörtchen „Album“, sagt Liesenfeld, „denn es gibt Dance-Maxis oder Dance-Compilations, aber eigentlich keine Dance-Alben. Bei uns hat jedes Stück seine Bedeutung, und in jedem von ihnen muss etwas drin sein, was verwirrt und zerstört.“

Autoren-Dance mit Punkrock-Appeal sozusagen; die Old-School-Variante oder eben die ultramoderne, je nach Sichtweise, Alter und Sozialisation. Vom Intro bis in die Auslaufrille ist „My First Political Dance Album“ ausgesucht eklektizistisch: Disco, Funk, Rave, the new gold dream 77, 82, 93, 01; Musik, die einen Tick zu fein gesponnen ist, um einfach drauflostanzen zu können, mit Stone-Roses-Samples, abrupten Wechseln in der Dramaturgie und auch einem sehr klassischen Popsong, den Davey Woodward von der Experimental Pop Band singt. Dann aber wieder Musik, die zu viele große Beats sportet, um sie nur im Ohrensessel hören zu können, die nicht selten nah dran an ist Fatboy Slim und Konsorten. People Pop in seiner simpelsten Ausprägung: einschalten, hochladen, abfahren.

Der gute Popsong

Natürlich sind Liesenfeld und Beier nicht so vermessen zu glauben, ultimative Weisheiten zu verkünden, wenn sie „move your mp 3“ skandieren, „spent a decade dreaming but the dream is gone“ singen lassen oder sich ein Wortgefecht mit der „Kunstpolizei“ liefern; und natürlich ist es wieder ein gut gespielter Witz, wenn Liesenfeld von einem „zeitlosen Album“ spricht, ja, „vom ,Pet Sounds‘ dieser Dekade“.

Trotzdem: Le Hammond Inferno geht es mitsamt ihrem Label Bungalow um den guten und richtigen Popsong, um die Vision von anspruchsvoller Unterhaltungsmusik. Darüber hinaus verweisen ihre Witze und Ansprüche darauf, dass die beiden Mittdreißiger ihren frühen musikalischen Sozialisationen treu geblieben sind und ihr Schaffen ein kontinuierliches ist: Nachdem Liesenfeld und Beier beide 1985 von Düsseldorf nach Berlin gekommen waren, fingen sie an, auf Privatpartys Sixties-Musik und Platten von Orange Juice und Aztec Camera aufzulegen. Später spielten sie in einer Band namens Rosegarden, mit der sie sich an einer deutschen Mischung aus Stone Roses, Primal Scream und Nirvana versuchten. Anfang der Neunziger löste sich die Band auf und die beiden wurden zum DJ-Duo Le Hammond Inferno: „Das war wie eine Befreiung. Wir brauchten nur zwei Plastikplattenspieler und billige Platten mit gut aussehenden Covern vom Flohmarkt, und ab ging die Post.“

Es folgten Bekanntschaften mit Musikern von Saint Etienne, Stereolab oder Pizzicato Five, der Ausbau der Kontakte vor allem nach Japan und später Angebote einiger großer Plattenfirmen, in ihrem Auftrag die Archive nach Easy-Listening-Platten durchzustöbern („Absurd war das, mit diesen völlig irren Typen von den Plattenfirmen und ihren total irren Vorstellungen“).

Schließlich gründeten sie ihr eigenes Label und veröffentlichten dort Alben und Compilations vor allem japanischer Musiker und Bands, aber auch alte Helden wie Momus oder Berliner Bands wie Stereo Total, Pop Tarts und Mina – ein Labelprogramm, das sie ganz ernsthaft so kommentieren: „Wir machen nur Sachen, die uns kicken, die poppig sind, die aber auch was Kaputtes drin haben.“

Vorgaben, denen allerdings nicht gerade alle der mittlerweile achtzig Bungalow-Veröffentlichungen gerecht werden. Manche sind doch arg schaumig und leicht, bei anderen wiederum muss man mitunter sehr lange nach den kaputten Details suchen. Doch in Äußerungen wie diesen schwingt er mit, das gute, alte Indie-Ethos, das Liesenfeld und Beier ausschließlich an die Musik denken lässt, an Vinylplatten, an geschmackvolle Cover-Artwork und hübsche Party-Flyer. Pop aber muss wehtun, independent zu sein bedeutet immer auch Selbstausbeutung: Mehr als 30.000 haben sie rund um den Globus und über die sechs Jahre ihres Bestehens noch von keinem Bungalow-Album verkauft, und das Geld von Nike half ihnen gerade mal, das Jahr 2000 über die Runden zu kommen.

Anstatt über Plattenumsätze in Belgien oder Frankreich, die von 100 Einheiten auf 150 gestiegen sind, reden sie deswegen auch lieber über den „russischen John Peel“, der sie zu einer Clubtour einlud: „Der schreibt für den Playboy und englische Magazine, ein völlig gestörter, irrer, aber geiler 50-jähriger Kokser.“ Darüber, wie Bungalow-Platten in Russland massenweise raubkopiert werden und auf Flohmärkten verkauft werden („das passt gut zu uns“); dass Bungalow-Platten in den USA eigene Fächer haben und „ganz ohne Vertrieb“ als Liebhaberobjekte gelten. Oder dass Zehntausende auf einem Festival in Barcelona zu Le Hammond Inferno abtanzen. Sie sind weltweit eine eingetragene Marke, so suggerieren die beiden, nur im eigenen Land scheint die Akzeptanz eine zwiespältige zu sein: easy beats, aber selten großer Pop.

So wundern sie sich an diesem Morgen einmal mehr, als sie ihrem Besucher das Video von „Move Your Mp 3“ vorspielen, dass Viva 2 es abgelehnt hatte: „Die meinten, das sei nicht schnell genug geschnitten. Den dicklichen Jungen mit der Brille, der dort auftritt, mochten sie auch nicht. Einfach so.“ Business as usual bei einem Musiksender, mag man denken. Doch es bestärkt Beier und Liesenfeld darin, anders zu sein, Musik und Geschäft nach anderen Regeln zu spielen und zu begreifen.

Der ausgesuchte Spaß

Auf der anderen Seite sind sie wieder eine Idee zu schlau, eine Spur zu ironisch und zu sehr dem ausgesuchten Spaß verpflichtet, um gleich zu ordentlich engagierten Systemkritikern zu werden, Kinder der ausgehenden Achtziger und Neunziger halt. Zwei, die spontan zusagen, wenn man sie fragt, ob sie auf einem Benefiz für die taz auftreten würden. Die taz aber lesen tun sie alles andere als regelmäßig. Die Einstellung reicht, die Haltung und ein paar launige Vorurteile: „Was? Du hast unsere Songtexte nicht gelesen! Du bist doch von der taz, da musst du dich doch um Inhalte kümmern!“

Da lachen sie sich ordentlich ins Fäustchen, erzählen aber gleich wieder ungefragt mit leuchtenden Augen, wie sie ihren alten Helden Adamski kennen gelernt haben, was das für ein Typ sei („dunkle Space-Brille, weißer Anzug, abgedreht, aber cool“), und wie sehr sie sich freuen, dass der ihnen einen „Move Your Mp 3“-Remix gemacht habe. Ein easy leasing superstar, zwei heavy raving superstars, und Pop will never eat itself.

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