Spotlights aus Afrika II: Unter Nomaden

taz-Korrespondent Peter Boehm unterwegs in Afrika. Zweite Station ist der Norden Somalias. In dem Land scheinen nur Nomaden zu leben – doch ein moderner Nomade macht auf die feinen Unterschiede aufmerksam

Seit Anfang des Jahres reist unser Korrespondent quer durch Afrika. Sein zweiter Beitrag kommt wie der erste aus Somalia (3. 2. 01). Diesmal geht es aber nicht um Waffen, sondern um die feinen Unterschiede der Lebensart.

Gergore, Somalia, im Februar: Ein Dutzend Hütten aus gestampftem Lehm oder Brettern, aus Lumpen und Plastikplanen zusammengeschusterte Verschläge an der Piste im äußersten Nordosten Somalias. „Na, dann wollen wir einmal sehen, ob wir bei den Nomaden eine Raststätte finden!“, sagt Nuredin, unser Übersetzer. Wir fahren bis zu einem Dach aus Ästen. Eine alte Frau kauert darunter im Schein einer Öllampe. Sie bietet uns sofort Tee an, und eine Übernachtungsmöglichkeit, sagt sie, gibt es bei ihr auch. Jeder von uns bekommt eine geflochtene Matte. Auf der einen Seite steht das Gras stachlig heraus. Man legt sich auf das glatte Ende und schlägt die stachlige Seite über sich. Damit sehen wir aus wie Raupen im Kokon. Am Morgen trinken wir wieder Tee – zu essen kann die alte Frau uns nichts anbieten – und zahlen. Drei Glas Tee nachts, drei Glas morgens.

Außer Schafen, Ziegen und Kamelen gibt es hier nichts. Keine Gärten, keine Felder, keine Fabriken, nichts, was das Leben einfach machen könnte. Wenn ich mich darüber wundere, sagt Nuredin, der mich auf einem Teil meiner Reise begleitet: „Du musst dir vor Augen halten, dass alle hier Nomaden sind.“ Wenn die Leute mich, den Ghal, den Weißen, mit offenem Mund anstarren, sagt er verschwörerisch: „Diese Nomaden!“ Und wenn sie im Niemandsland von irgendwoher an der Piste auftauchen, triumphierend: „Ich hab’s dir ja gesagt: Nomaden!“

Aber auch in den Städten sind wir vor ihnen nicht sicher. Jemand hat über seine enge Frisörnische in der Wand falsch „Baber Shop“ schreiben lassen – „Nomaden!“, fällt prompt der Kommentar neben mir. Die Autofahrer rasen hupend auf die Polizisten zu: „Nomaden!“ Und wenn in Bosasso gar – wie in anderen Städten übrigens auch – an vielen unbebauten Stellen igluförmige Behausungen aus Lumpen, Kartons und Plastikplanen aus dem Boden wachsen und die Menschen sich, tags vor der Sonne geschützt, nachts durch einen Tontopf mit Holzkohlen gewärmt, darin zu Tee und Khat, den stimulierenden Zweigen, die fast alle Männer in Somalia kauen, versammeln, wird Nuredin kategorisch: „Siehst du, egal wo du sie hinbringst, sie werden immer Nomaden bleiben.“

Nuredin selbst ist ausgebildeter Krankenpfleger, spricht gut Englisch und hofft, bald im Ausland sein Medizinstudium beenden zu können. Auf unsere zweieinhalbtägige Reise zum östlichsten Punkt Afrikas nimmt er nur eine Plastiktüte mit. Darin hat er ein Laken, das er sowohl als Bettuch und Zudecke als auch an den kühlen Morgen als Umhang benutzt. Außerdem ein Fläschchen Frauenparfüm, mit dem er nach dem Essen seine Hände einsprüht, sowie den in Afrika üblichen Zweig, um die Zähne zu putzen. Sonst nichts. Ein Nomade? PETER BOEHM