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„Heteros sind verklemmt“

Als ihr Sohn sich zu seiner Homosexualität bekannte, änderte sich für Sigrid Pusch einiges. Sie wollte Einblicke gewinnen: Das Verhältnis zu ihrem Mann wurde offener, sie gründeten eine Elterninitiative

Warum haben Sie eine Organisation von Eltern homosexueller Kinder gegründet?

Sigrid Pusch: Das wurde uns immer wichtiger, nachdem uns unser Sohn Hellmuth vor sechs Jahren erzählen konnte, dass er schwul ist. Da ist bei mir ein Film durch den Kopf gegangen, wo ich dachte, da kann ich mein Kind jetzt nicht allein lassen.

Welche Bilder spukten Ihnen im Kopf herum?

Sachen aus meiner Zeit im Pflegebereich waren mir eingefallen. Ich hatte ja viele Mitarbeiter, die schwul und lesbisch waren. Die haben hervorragende Arbeit geleistet, wurden aber in ihrem Ansehen immer zurückgestellt. Man belächelte deren Privatleben, außerdem wurde viel über sie getuschelt.

Und das war etwas, wo ich gedacht habe, das . . .

. . . soll unser einziges Kind nicht erleiden. Immer wieder habe ich mich gefragt: Warum sucht er sich so ein schwieriges Leben aus? Aber ich habe ihm dieses Leben gerne geschenkt, da musste ich sehen, dass ihm nichts Böses widerfährt. Da fühlte ich mich auf einmal tüchtig stark.

Ihr Sohn hat seine Homosexualität lange für sich behalten. War denn das für Sie nicht kränkend?

Das haben wir nicht so empfunden. Wir haben einsehen müssen, dass er vieles erst für sich herausfinden musste. Er wollte sich ja selbst sicherer machen, weil er nicht genau wusste, ob wir ablehnend reagieren würden.

Wäre es für Sie schöner, wenn Ihr Sohn heterosexuell wäre?

Nein, jetzt nicht mehr. Ich habe für mich selber entschieden, Einblicke zu gewinnen. Eine Schwiegertochter gibt es jetzt nicht, dafür kriegen wir vielleicht einen Schwiegersohn dazu. In dieser Zeit musste ich viel lernen.

Was haben Sie gelernt?

Ich bin vorsichtig geworden in der Beurteilung von Menschen und misstrauisch gegen alle Vorurteile. Außerdem habe ich das Leben von Homosexuellen kennen gelernt. Das wäre mir nicht passiert, wenn unser Sohn heterosexuell wäre.

Hat die Auseinandersetzung mit der Sexualität Ihres Kindes etwas an Ihrer eigenen Ehe verändert?

Ja, weil Homosexuelle sich mit Sexualität ganz anders, freizügiger auseinandersetzen. Wir Heteros sind da ja zum Teil sehr verklemmt.

Habt Sie und Ihr Mann Uwe auch angefangen, über Sexualität zu reden?

Langsam. Ich habe meine eigene Ehe reflektieren müssen. Mein Mann Uwe und ich sind für einander offener geworden. Unser Sohn und andere Schwule haben uns dabei sehr geholfen.

Schwule leiden ja oft unter dem zerstörten Verhältnis zu ihren Vätern.

Das war bei uns nicht so.

Ist das Verhältnis zwischen Vater und Sohn nicht distanzierter geworden?

Nein. Als Hellmuth Säugling war, hatten wir uns gerade ein Haus gekauft. Ich ging weiter arbeiten, weil mein Beruf der sicherere war, um die Hypotheken abzutragen. Mein Mann blieb zwei Jahre zu Hause. Später ging ihm diese Zeit durch den Kopf: War das ein Fehler? Wäre die Mutter wichtiger gewesen?

Und?

Nach Gesprächen mit Sexualwissenschaftlern wie Helmut Kentler können wir über diesen Punkt nur noch schmunzeln. Aber wir werden von anderen Eltern oft gefragt, was sie falsch gemacht haben.

Was machen Eltern falsch?

Eigentlich nur, dass sie oft ihre Kinder als homosexuell nicht annehmen. Zwar sagen sie oft, dass sei ja gar nicht so schlimm, verbieten ihnen aber, darüber zu sprechen. So nehmen sie ihre Söhne und Töchter nicht ernst. Dabei ist für ein homosexuelles Kind eine Befreiung, wenn die Eltern sich bemühen, damit offen umzugehen.

Und wie denken Sie?

Auch für uns war Hellmuths Coming-out ein Stück neues Leben. Jetzt denke ich, guck mal, da hast du dein Leben neu überdenken müssen. Das genieße ich sehr.

INTERVIEW: JAN FEDDERSEN

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