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kabolzschüsseAuf der Suche nach Berlins randigster Sportart

Nordic Walking

Irgendwo auf dem Weg vom Büro zum Sofa ging sie verloren, die Fitness. Das Gewissen schlägt wegen des erbarmungswürdigen körperlichen Zustands gelegentlich Alarm. Fragen bohren sich durchs Hirn: Habe ich etwa vor dem schleichenden Verfallsprozess kapituliert? Ist es Feigheit vor dem Wohlstandsbauch? War man nicht früher ein leidlicher Sportler, dessen schwindende Kräfte nun allein in den Beruf fließen? Rannte man nicht die 3.000 Meter einst unter elf Minuten und ringt heute im vierten Stock um Luft? Und warum läuft der taffe Nachbar vor Arbeitsbeginn zehn Kilometer, man selbst aber nur noch im Leerlauf?

All den Trägen erschien Gary Yanker, um für Bewegung zu sorgen. Yanker arbeitete in New York als Anwalt. Als der Gürtel spannte, glaubte er das Übel erkannt zu haben: am Mangel körperlicher Ertüchtigung lag’s. Flugs reiste er nach Deutschland, als Mekka der Trendsportler hinlänglich bekannt, und speckte ab. Die Kilos purzelten. „Ich kam mit Babyspeck und ging mit einem stahlharten Körper“, verkündete er. Yanker berichtete fortan mit dem Eifer des Erleuchteten über die Vorzüge des Walking. Dabei ging er einfach nur schnell. Oder marschierte forsch. In Büchern und Videos brachte er die Heilslehre unter die ambitionierten Spaziergänger.

Wer zuvor Cocooning betrieb oder einfach nur das allerorten beliebte TV-Watching, der versuchte es nun mit Walking, Nordic Walking, wobei Spazierstöcke das Gehen erleichtern. Sollte das Schnellwandern draußen stattfinden, kann es getrost mit Steinpilz-Searching und Brotzeiting kombiniert werden.

100.000 marschieren hierzulande organisiert. Mit dabei ist Bernhard Liebich (57), ein Walker der ersten Stunde und ein Nordic Walker im Versuchsstadium. 1995 schaute er ein Video Yankers und erkannte, dass Walking der Sport ist, den er auch mit künstlichem Hüftgelenk betreiben kann. „Ich war ein Exot“, sagt er, „Jogger haben mich verwundert angeschaut, die fanden das sehr scherzhaft.“ In der Laufbranche wird hierarchisch gedacht. „Ein Jogger findet Walking einfach unter seiner Würde“, erklärt Liebich. Im Laufclub Stolpertruppe walkt er zweimal wöchentlich durch Berlin, heftig mit den Armen rudernd und immer mit einem Fuß am Boden.

Durch Buckow bahnt Liebich sich seinen Weg. Geht es bergauf, nimmt er die Stöcke mit. Das sind freilich keine verwitterten Holzstützen, sondern superleichte Alustäbe, die beliebig auszufahren sind. „Damit kommt man jeden Berg hoch“, sagt Liebich. Auch die Kollegen der LG Süd oder des SC Charlottenburg schätzen die Abart des Walking, die ausnahmsweise nicht von den USA aus seinen Siegeszug in Europa antrat, sondern aus Skandinavien kommt.

Der Großteil der Stolpertruppe besteht aus Frauen „um die 50“. Liebich sagt, der medizinische Aspekt stehe im Vordergrund. Die Frauen schätzten die „Fettverbrennung“ außerordentlich. Durch das gemächliche Tempo schmilzt das Fett wie Butter in der Sonne. Der Deutsche Sportärzte-Bund sagt, Walking führe schon bei niedriger Intensität zu einer Verbesserung des Lipidstoffwechsels.

Bei 6 km/h und mindestens einer halben Stunde beginnt der Schwimmreifen um die Hüften sachte Luft zu lassen. Ganz langsam. Gleichzeitig meinen die Mediziner aber: „Für leistungsfähigere Personen ist Jogging in der Regel die günstigere, da effektivere Sportart.“ Wer beim Jogging nicht überdreht, sondern mit Pulsuhr läuft und sich an die Faustregel hält „180er-Puls minus Lebensalter“, der mache aus seinem Herz-Kreislauf-System ein Perpetuum mobile.

Die Zahl der Walker wächst. Es ist eine Sportart, die wie ein Venenstrumpf wirkt: Sie schadet wenig und hilft etwas. Walking ist die Beruhigungspille für die Alten und für die Rekonvaleszenten der Wiedereinstieg in den Sport. Walking ist immer langsamer als der Trend. Nicht ohne Grund wurde Walking vom Deutschen Sport-Bund (DSB) vereinnahmt und wegweisend vor den Karren der Initiative „Richtig fit!“ gespannt. Auch die Krankenkassen sind begeistert. Die Barmer lockt Interessenten mit „Venen-Walking“. Wenn die Krampfader da mal nicht frohlockt.

MARKUS VÖLKER

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