piwik no script img

Mit dem Lächeln in der Stimme

■ Gewerkschaft will in Zukunft Mitarbeiter von Call Centern in Hamburg beraten

Für Ulli Meinecke war es die letzte Pressekonferenz als Chef der Gewerkschaft Handel Banken und Versicherungen (HBV) in Hamburg – am Wochenende reist er zum HBV-Kongress, auf dem die Auflösung der Organisation beschlossen und die Verschmelzung zur Dienstleistungsgewerkschaft ver.di besiegelt wird. Trotzdem freute er sich, bereits gestern das erste ver.di-Projekt präsentieren zu können, mit dem der neue Gewerkschaftskoloss in Hamburg neue Wege beschreitet: „Call Center Consult“.

Allein in Hamburg jobben derzeit 12.000 Menschen in Call-Centern. Damit arbeiten in der Hansestadt mehr Menschen in dieser Boom-Branche als anderswo. Von den hiesigen 240 Centern sind nach HBV-Schätzungen rund 70 so genannte „externe“, die für verschiedene Unternehnmen arbeiten. Sie unterliegen daher meist keinen Tarifverträgen und auch nicht dem Schutz durch den Betriebsrat des Mutterbetriebs – beispielsweise des Otto-Versands.

Mit dem „Coaching der besonderen Art“ möchte ver.di nun durch ihr Projekt Agents, SupervisorInnen und MitarbeiterInnen mit Tipps und Ratschlägen für die Ausgestaltung ihrer Arbeit Hilfestellung geben – ein bislang einzigartiges Projekt. Meinecke: „Wir wollen nicht nur die beraten, die die Geknechteten sind, sondern auch für diejenigen da sein, die ihren Job gern machen, sich aber entwickeln wollen.“ Denn Arbeitszeiten, Befristung, Bezahlung, Gesundheitsschutz, Qualifizierung und der „Stress mit dem ewigen Lächeln in der Stimme“ sind in der Branche nicht geregelt. „Normale Schichtzeiten gibt es kaum“, so Meinecke.

So gibt es Call Center, die ihren Personalbedarf durch computergestützte Einsatzpläne minutiös auf Werbeblöcke im TV ausrichten, um notfalls kurzfristig 1000 Anrufe bewältigen zu können. Oder MitarbeiterInnen werden bei Engpässen über Alarmleuchten und SupervisorInnen zur schnelleren Abfertigung animiert. Obwohl teilweise Fachberatung verlangt wird, gibt es oft keine Schulungen, sondern herrscht die Devise: „Arbeit und Lernen“.

„Wir wollen, dass die Beschäftigten nicht die Verlierer sind“, sagt Beraterin Rita Linderkamp von der Technologie und Innovationsberatung (TIP). Denn die Branche steht ihrer Meinung am Scheideweg. „Da wird auch nur mit Wasser gekocht, allerdings mit einem Schnellkocher“. Daher dient die Beratung auch der Arbeitsplatzgestaltung. „Welche Konzepte sich durchsetzen, ist noch nicht entschieden,“ meint Linderkamp warnend. „Zu Anfang siegt immer die Kunden-, danach oft die Kostenorientierung.“ Kai von Appen

Kontakt: 040/28 58-422

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen