: Ach, Du lieber ich!
DAS SCHLAGLOCH von FRIEDRICH KÜPPERSBUSCH
„Gentest für alle deutschen Männer !“ (Aktuelle Forderung aus der „Bild“-Zeitung, der CSU, tiefer Verzweiflung und politisch korrektem Genitalrassismus.)
Ich verbitte mir, den Spiegel vorgehalten zu bekommen. Das gilt für jedweden Spiegel, egalweg alle Vorhälter und jede zu spiegelnde Körperregion. Ich möchte von Medien nicht in einen Kindsmord verwickelt werden. Ich plane keinen, habe keinen begangen; habe keinen derartigen Verlust erlitten und werde dies auch nicht. So wahr mir Gott helfe. Ihn fragte Bild am Montag: „Wo warst Du, Gott?“
Da kann ich dienen: Er war bei mir. Wir haben hier gesessen und Kaffee getrunken, ich muss dem Mann ein bombensicheres Alibi liefern. Er will übrigens auch nichts mit der Sache zu tun haben. Einen Tabaksfaden seiner Selbstgedrehten rotzte er aufs druckfrische Blatt und raunte mir zu: „Sebnitzlüge!“ Und Amen.
Wir sind ja Kollegen. Beide Vater, Sohn und heiliger Geist, was geiliger heißt als es ist, aber immerhin. Als Vater blinzelst du doch auf den Kasten „Wie Sie Ihre Kinder schützen können!“. Als Sohn fragst du dich doch, wie bestialisch Aufwachsen sein können muss, damit ausreichend Täter für alle Verbrechen der Welt da sind. Der Geist schließlich weiß, dass hier ein beliebiger Punkt der Kriminalstatistik in Rede steht, und ärgert sich, dass wir drei gleichwohl darauf reinfallen.
Dass wir auch Voyeure sind. Ekelhaft. Voyeurismus ist die Freude, andererleuts Tod zu überleben. Bei Blaulicht und Stau auf der Gegenfahrbahn bildet sich diesseits der Solistau der – nachfolgendes Wort besteht aus Lust und Schauen – Schaulustigen. In Kinderaufzuchtratgebern steht, der ängstliche Erzieher proijiziere seine verdrängten Aggressionen; wer sein Kind ständig unters Auto laufen sehe, dessen Unterbewusstsein wünsche eben, es möge dem insgeheim unerwünschten Blag etwas zustoßen. „Ich hab euch so lieb, ihr könnt ruhig vor einen BMW hüpfen“? Komplett stulle. Eine widerwärtige These, die mich nicht daran hindert, meinen Liebsten den Bürgersteig im Zweifel auch eher recht autoritär aufzuzwingen.
Gott und ich kamen schnell überein, uns nicht schämen zu wollen für die Berichterstattung, noch für unser Interesse an ihr. Ich mache auch Journalismus, er auch Journalisten, aber wir beide mögen unseren Job; wir hassen nicht das, was wir tun, auch nicht unterbewusst. Und also lässt Gott uns liebevoll unter Autos laufen. Und ich lese Bild. „Ach, Du lieber ich!“, stöhnt Gott, wenn ich auf das Blatt zu sprechen komme. Er weiß natürlich eh immer schon, was drin steht. Das geht Millionen Lesern auch so und macht das Geheimnis aus: Ein bisschen Gott sein, allwissend darin, dass man das alles ja schon immer gewusst hat.
Der Schöpfer redet meist nicht viel; mit einer Betonung auf dem „ich“ brummt er: „Was soll ich dazu sagen?“, und gibt sein Schweigen zum Besten. Er wartet, bis mir was einfällt, und weil er gerade da sitzt, trage ich es vor. Um an seinem Mienenspiel zu beobachten, ob er’s mir eingegeben hat oder ob ich noch ein bisschen dran arbeiten muss. „Was, wenn Du Adam und Eva nur aus dem Paradies geschmissen hast, weil Du absolut keinen Bock mehr hattest, immer darauf achten zu müssen, dass Dir keiner beim Pinkeln zuguckt?“ Keine Reaktion.
Der Alte raucht und dreht langsamst seine Kaffeetasse in der Hand. „Na ja, ich meine, wenn Eva oder Adam oder beide gesagt hätten: Nee, mein Lieber, vom Baum der Erkenntnis dürfen wir aber auch essen, so autoritäre Verbote machen wir hier aber nicht mit!“ Jetzt guckt er wieder, als wollte er die Bild-Zeitung doch noch mal aufschlagen, um sein Tageshoroskop zu lesen.
Am Sonntagabend war im Fernsehen eine politische Diskussionsrunde einberufen unter der Frage, ob denn nun die Grünen oder die FDP dritte Kraft seien. Brandenburgs Innenminister Schönbohm nahm teil. Bei seiner Begrüßung floss Dank ein, dass er trotz der kulminierenden Ermittlungsarbeit Zeit finde und dass er am Ende der Sendung sicher noch etwas zu neuesten kriminalistischen Erkenntnissen sagen könne. Erst die Arbeit, dann die Saalwette. Sie können noch mitwetten, ob dieser Artikel ohne den erbarmungslos niedersynonymisierten Vornamen des Kindes zu Ende geht – oder ob noch etwas passiert. Wir sind hier schließlich im Niemandsland.
Wenn die Vertreibung aus dem Paradies der Beginn der Scham war, ist Paradies dort, wo man sich für nichts mehr schämt. Die Zustände in manchen Redaktionen sind schon weniger liebevoll beschrieben worden. Wahrscheinlich stimmt’s also nicht; er hat dazu jedenfalls nichts mehr gesagt. Neugier muss das Gegenteil von Altzufriedenheit sein, und letztere haben wir wohl nicht. Ich spiele sie mir, diese ersehnte Gelassenheit beim Zeitungslesen, vor, überblättere die detailgeilen Sonderseiten oder verzichte gar ganz auf die Lektüre. Früher politisch korrekt; heute eher, weil ich es mir eben verbitte, immer wieder an meine Abseiten erinnert, bei meinen niedersten Trieben gepackt zu werden. Die altersweise Version des Spontirufes also ergeht an die Promis und im Blatt Beschriebenen: „Enteignet Springer – behaltet euren Scheiß für euch!“
Zum Thema Gentests kam mein schlecht rasierter Gast dann aber noch mal in Fahrt. Gerade wie jeder andere Jorunalist dröhnte er: Er wolle das nicht alles lesen, er habe es ja schließlich geschrieben. In Amerika forsche man längst, ob es schwule, kriminelle, rassistische oder sonstwie diskriminierbare Genabschnitte gebe.
Was man ihm eigentlich noch alles in die Schuhe schieben wolle. Ob wir 40 Millionen deutsche Jungs nicht auch ohne Gentest einigermaßen klar entscheiden könnten, was mit uns denn los sei. Ob wir der Gerechtigkeit halber nicht auch das Gen suchen sollten, das liebende Mütter ihre Jungs zu Monstern erziehen lässt. Und ob wir uns dann geschlechterkämpfend allesamt gegenseitig umbringen könnten. Auf solche Jobs hätte er persönlich nämlich definitiv keine Lust mehr.
Gewöhnlich sind solche Gespräche zu Ende, wenn er anfängt, das Kreuzworträtsel zu lösen. Ist ja nicht so irre spannend, wenn man allwissend ist. Auch glaube ich nicht, dass er dadurch mit seinem Partner ein Wochenende im Disneyland Paris gewinnen will. Obwohl Walt Disney ja gewissermassen auch Kollege ist. Wenn er noch jünger wäre, hätte er über dem Stall von Bethlehem ein Banner flattern lassen: „Wo warst Du, Bild?“ Aber das sei ja wohl CVJM-Kabarett und albern; und da gab ich ihm tendenziell recht.
Es geht gegen Mittag , es klingelt an der Tür, mein Sohn kommt wohlbehalten von der Schule nach Hause. „Mir sei Dank!“, sagt Gott, und ich schiebe ihn durch die Terrassentür gartenwärts raus. Er nimmt das nicht übel, und deshalb erregt es keine Besorgnis, dass er im Gehen noch mal schimpft: „Von wegen Hölle. Ich streich euch einfach raus. Noch ’ne späte Anzeige reinbekommen. Müssen 60 Zeilen raus. Ein Anruf, und euch hat’s nie gegeben. Schönen Tag noch, Kollege.“
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