: „Ganz ehrlich, mir kommt das Kotzen“
Der 78-jährige ehemalige Zwangsarbeiter Willy Frohwein aus Spandau über das lange Warten auf Entschädigung. Seine Forderung: Zuerst sollten die Zwangsarbeiter aus Osteuropa das Geld der Stiftungsinitiative bekommen
taz: Glauben Sie daran, dass die deutsche Wirtschaft jetzt Entschädigungen zahlt?
Willi Frohwein: Ich bin fest davon überzeugt, dass jetzt etwas passiert, die zahlen schon aus Angst, dass es teurer wird, wenn es bei den Sammelklagen in Amerika bleibt. Der Richterspruch war ein Schreckschuss für die Banken.
Wann rechnen Sie mit einer Zahlung?
Ich bin jetzt 78, das wird wohl noch dauern, weil die ja vorhaben, mit den 80-Jährigen anzufangen. Ich bin dafür, dass sie das Geld gleichzeitig an alle auszahlen, und zwar so schnell wie möglich, bevor wir alle tot sind. Ich bin nicht dafür, dass die Erben das Geld bekommen. Die können doch unser Leid nicht nachvollziehen.
Was denken Sie, wenn Sie die Verhandlungen in den Medien verfolgen?
Ganz ehrlich, mir kommt das Kotzen. Wenn ich dann noch anfange zu überlegen, dass 75 Prozent des Geldes der Steuerzahler bezahlt. Die Unternehmen können ja auch noch die Hälfte von der Steuer absetzen, das empfinde ich als so ungerecht.
Sind sie wütend auf die Industrie?
Und wie. Wenn ich an die I.G. Farben denke – für die hab ich arbeiten müssen. Zweimal stand ich auf dem Transporter zum Vergasen und bin wieder runtergeholt worden. Oder die großen Autofirmen, die Flugzeugwerke, der Flick-Konzern – die haben alle an unserem Unglück verdient.
Tauschen Sie sich mit anderen Zwangsarbeitern aus?
Im letzten Jahr haben wir uns drei- oder viermal getroffen. Wir sind alle einer Meinung. Es wird Zeit, dass mal ein Zeichen gegeben wird, dass die Schuld anerkannt wird. Mir geht es vor allem darum, dass die etwas bekommen, die jetzt im Osten dahinvegetieren. Ich habe ja eine Rente. Ein Bekannter von mir aus der Ukraine bekommt 40 Mark im Monat.
Ist Entschädigung überhaupt möglich?
Wie denn? Ich war zehn, als die Nazis an die Macht kamen. Die ganzen Jahre schlepp ich diese Bilder von damals mit mir herum. Die werde ich nicht los, wie kann man so was entschädigen? Es geht um einen symbolischen Akt.
Was werden Sie mit dem Geld machen?
Da mach ich mir keinen Kopf drüber, erst mal muss ich es ja haben. Ich weiß ja nicht mal, ob ich das noch erlebe.
INTERVIEW: JULIA HARBECK
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