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„Eine Schande für unser Land“

Deutschland vor dem Rassismusausschuss der Vereinten Nationen. Anders als früher soll Kritik nun angenommen werden. Fragen zum Asylverfahren blieben unbeantwortet

GENF taz ■ „15.951 rechtsextremistische, fremdenfeindliche und antisemitische Straftaten im Jahr 2.000, ein Anstieg von 58 Prozent gegenüber dem Vorjahr – das ist eine Schande für unser Land.“ Ungewöhnlich selbstkritische Töne fand Klaus Stoltenberg, Ministerialdirigent im Bundesjustizministerium, gestern in Genf vor dem Rassismusausschuss der UNO. Wie jeder der 156 Vertragsstaaten der „UNO-Konvention zur Beseitigung jeder Form von rassischer Diskriminierung“ muss auch Deutschland dem 18-köpfigen Ausschuss regelmäßig alle zwei Jahre einen schriftlichen Bericht vorlegen und sich etwa sechs Monate später in einer mündlichen Anhörung in Genf den kritischen Fragen der Ausschussmitglieder – überwiegend Völkerrechtler – stellen. Auf die Antworten kann der Ausschussvorsitzende dann wiederum mit schriftlichen Kommentaren und Empfehlungen an die Regierungen reagieren. Wegen des übergroßen Arbeitsanfalls kommt jeder Vertragsstaat jedoch lediglich alle vier Jahre an die Reihe.

Das letzte Mal musste Deutschland sich 1996/97 diesem Verfahren unterziehen – also noch zu Zeiten der CDU/FDP-Regierung. Damals wurde auf Kritik von UNO-Experten an den Zuständen in Deutschland überwiegend mit Verharmlosung und Abwiegeln reagiert. Doch die rot-grüne Bundesregierung hat sich dazu entschlossen, „nichts schönzureden und an den Zahlen nicht herumzukritteln“, betont Stoltenberg. Es müsse „ein Bewusstsein entstehen, das den Gedanken zulässt, dass in Deutschland Menschenrechte verletzt werden“.

Ausführlich schilderten Stoltenberg und die anderen Mitglieder der Berliner Regierungsdelegation dem UNO-Aussschuss die verstärkten Maßnahmen zur Prävention und Repression rechtsextremistischer, fremdenfeindlicher und antisemitischer Straftaten in Deutschland.

Ein zweites Thema waren die Übergriffe deutscher Polizisten oder Vollzugsbeamten gegen Ausländer. Die Bundesregierung berichtete dem UNO-Ausschuss von einem deutlichen Rückgang der Fälle in den letzten Jahren sowie von neuen Maßnahmen zu einer verbesserten, an den Menschenrechten orientierten Vorbereitung von Polizisten und Vollzugsbeamten auf ihren Dienst. Separat hatte der Ausschuss zu diesem Thema eine Stellungnahme von amnesty international angefordert. Zu den darin aufgeführten Polizeiübergriffen erklärten die Vertreter der Bundesregierung, es handele sich „überwiegend“ um Fälle, die bereits bei früheren Anhörungen vorgelegen hätten.

Nicht ausräumen konnte die Bundesregierung Bedenken gegen das seit der letzten Anhörung vom März 1997 veränderte Asylverfahren. Kritische Fragen bezogen sich vor allem auf die Listen von Drittstaaten und „sicheren Herkunftsländern“. Breiten Raum nahm bei der Anhörung die Frage ein, warum Türken, Bosniaken oder Nigerianer in Deutschland nicht dieselben Minderheitenrechte erhalten wie Dänen oder Sorben. Die Berliner Delegation erläuterte, die Privilegien für Dänen und Sorben entsprängen historischen Verpflichtungen Deutschlands aus den beiden Weltkriegen. Ansonsten sei es das Bemühen der Bundesregierung, für alle in Deutschland lebenden Menschen ungeachtet ihrer Herkunft und Nationalität denselben Menschenrechtsstandard durchzusetzen. Zum Abschluss der Anhörung äußerten sich mehrere Ausschussmitglieder zufrieden mit der offenen und informativen Weise, in der die Bundesregierung auf die kritischen Fragen und Bedenken eingegangen sei. Inwieweit diese auch in der Sache ausgeräumt wurden, wird der schriftliche Kommentar des Ausschussvorsitzenden zeigen, der in einigen Monaten vorliegen soll. ANDREAS ZUMACH

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