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„Undercover“ im Immunsystem

Die von Zecken übertragene Lyme Borreliose ist eine heimtückische Krankheit, die oft unerkannt bleibt und im fortgeschrittenen Stadium nur schwer zu therapieren ist. Jetzt gibt es Hinweise, wie die Erreger das Abwehrsystem ihres Wirtes überlisten

von VERA BETTENWORTH

Gelenkentzündungen, Nervenerkrankungen oder Herzrhythmusstörungen können Anzeichen einer Lyme Borreliose sein. Diese bakterielle Infektionskrankheit wird durch so genannte Borrelien hervorgerufen, mit denen man sich per Zeckenbiss infizieren kann. Von der Bissstelle breiten sich die Erreger im ganzen Körper aus – Borrelien können alle Organe befallen. Obwohl die Krankheit keinen so dramatischen Verlauf nimmt wie die ebenfalls von Zecken übertragene Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), stellt sie eine ernsthafte Belastung der Gesundheit dar, denn sie bleibt häufig unerkannt. Während die gängige Antibiotikatherapie im akuten Infektionsstadium zufrieden stellend ist, schlägt sie bei einer chronischen Borreliose nur in 70 Prozent der Fälle an.

Der Konstanzer Pharmakologe Thomas Hartung glaubt, die Ursache für den ungenügenden Therapieerfolg gefunden zu haben. Die Bakterien, so Hartungs These, überlisten das Immunsystem des menschlichen Körpers und können sich so vor den Abwehrzellen im Blut „verstecken“. In einer Veröffentlichung im amerikanischen Journal Infection and Immunity lieferte das Forscherteam von der Universität Konstanz Hinweise für diese Theorie: Anstatt – wie bei Infektionen mit krankheitserregenden Bakterien sonst üblich – Signalsubstanzen auszuschütten, die eine Abwehrreaktion initiieren, produziert das menschliche Immunsystem nach Kontakt mit Borrelien entzündungshemmende Botenstoffe. Entzündungen aber sind äußerliche Anzeichen für den im Körper tobenden Abwehrkampf.

Indem die Erreger dem Immunsystem eine heile Welt vorgaukeln, können sie Abwehrreaktionen vermeiden und sich ungestört in ihrem Wirt ausbreiten. Hartungs These zufolge erreichen die Borrelien dieses Ziel, weil sie die Zytokine, das Kommunikationssystem des menschlichen Körpers, manipulieren. Die Zytokine sind hormonähnliche Botenstoffe, die im Verlauf einer Abwehrreaktion ständig von den Zellen des Immunsystems ausgeschüttet werden. Mit ihrer Hilfe stimmt das Immunsystem seine „Vorgehensweise“ ab. Proinflammatorische Substanzen wie das Gamma-Interferon stimulieren die Bildung neuer Abwehrzellen und damit den Angriff auf Bakterien und andere Eindringlinge. Während gesunde Menschen mit erhöhter Gamma-Interferonproduktion auf krankheitserregende Keime reagieren, steigt der Gamma-Interferonspiegel von Personen mit Borrelien-Infektion nur geringfügig an. Stattdessen zeigen sie eine erhöhte Ausschüttung von entzündungshemmenden Botenstoffen wie Interleukin-10.

„Die von Hartung vorgestellten Befunde sind relevant, da sie auf eine Unterdrückung der proinflammatorischen Zytokine durch Borrelien hinweisen“, sagt der Schweizer Immunologe Marcus Groettrup vom Kantonsspital St. Gallen. „Es bleibt jedoch offen, ob es tatsächlich die Borrelien selber sind, die das Zytokinmuster in den Patienten aktiv verändern.“ Ein deutliches Indiz für die These wäre für Groettrup die Identifikation eines Gens im Borrelien-Genom, das eine solche Suppression auslösen könnte. Doch Hartung sieht schon jetzt Handlungsbedarf: „Die Lyme Borreliose ist eine ernst zu nehmende und weitverbreitete Krankheit – allein in Baden-Württemberg gibt es jährlich etwa 40.000 Neuinfektionen.“

Deshalb erprobt er seit vier Jahren einen neuen Behandlungsansatz: Die adjuvante (unterstützende) Immuntherapie. Dabei werden – zusätzlich zur üblichen Antibiotikatherapie – die natürlichen Abwehrmechanismen des menschlichen Körpers mit bestimmten Botenstoffen angeregt. Während die Zahl der Bakterien im Körper durch Antibiotikagabe reduziert wird, „erkennt“ das Immunsystem dann die verbleibenden Borrelien wieder und kann sie bekämpfen. Diese Therapie war in einem Einzelfall bereits erfolgreich, doch sind noch klinische Studien in größerem Stil abzuwarten.

Einen anderen Ansatz verfolgen Forscher der Universitäten Freiburg und Heidelberg: Sie haben einen Impfstoff entwickelt, der den menschlichen Körper zur Produktion von Antikörpern gegen die Borrelien anregt. Diese Antikörper sollen die Erreger schon während des Saugaktes im Darm der Zecken unschädlich machen. Doch der Impfstoff kommt frühestens in ein bis zwei Jahren auf den Markt. Es gilt also, eine Infektion zu vermeiden. „Ein Zeckenstich ist ein Notfall“, mahnt Hartung. Die Übertragung der Borrelien beginnt erst zwölf Stunden nach dem Stich, die Zecken sollten daher schnell entfernt werden. In Deutschland tragen und übertragen zwischen 12 und 44 Prozent der Zecken den Erreger der Lyme Borreliose – Bayern und Baden-Württemberg sind wesentlich stärker mit den Krankheitserregern belastet als Nord- oder Ostdeutschland. Im europäischen Durchschnitt sind 16 Prozent der Zecken infiziert.

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