Ein Abbild der Umgebung

In Telefonläden gehen die Uhren anders: Mit Billigtarifen werden überwiegend ausländische KundInnen gelockt. Im Minutentakt sprechen sie mit Benin oder der Türkei  ■ Von Oliver Lück

In Singapur ist es nachmittags zwanzig vor zwei. In Lima 12 Uhr 40 und in Rio de Janeiro immer 16 Uhr 23. Die Batterie ist leer. Jeder Telefonshop hat diese Uhren, die der Kundschaft sagen sollen, wie spät es in der angerufenen Welt gerade ist. In Hamburg ist es zwanzig vor sieben: Die tiefe Stimme in Kabine vier ist auch durch die dämmende Glastür nicht zu überhören. „Hello“, schreit sie in den Hörer. Dazu fremdsprachige Wortfetzen und ein Arm, der angestrengt durch die Luft gestikuliert. Hubert gibt sich redlich Mühe, verständlich zu sein. Doch die Verbindung ist an diesem Abend schlecht. Enttäuscht legt er auf. „Ich probiere es später noch einmal“, sagt er, nimmt Platz und erzählt, dass er versucht, einen Freund in der Heimat zu erreichen, der selber aber kein Telefon hat. „In Kamerun kann sich das nicht jeder leisten“, erklärt er: „Deshalb melde ich mich um zwanzig vor bei seinem Nachbarn.“ Der hat Telefon. Und dort wartet sein Freund.

Mindestens einmal pro Woche kommt Hubert in den kleinen Call Shop in der Susannenstraße, um mit seiner Familie und Bekannten in Zentralafrika zu sprechen. Für 99 Pfennig die Minute plus 1,50 Mark Vermittlungsgebühr pro Telefonat und einen Kaffee gratis. „Das ist immer noch billiger als von zu Hause aus“, meint Hubert, der an der Hamburger Uni Software-Entwicklung studiert. Täglich geöffnet: 10 bis 24 Uhr ist in fünf Sprachen auf einem Schild draußen am Eingang zu lesen. Daneben noch ein weiteres, das die Tarife für Minutengespräche in über 60 Länder zeigt. „Vor zwei Jahren noch war hier eine Änderungsschneiderei. Dann sind wir eingezogen“, erinnert sich Teilhaber Ayham Altinkaynak, der hinter einem kleinen Tresen die Kundschaft bedient. Auf seinem Monitor kann er nicht nur den Preis und die Anzahl der geführten Gespräche ablesen, er sieht auch, in welches Land gerade telefoniert wird. Wenn irgendwo auf der Welt ein Krieg ausbricht oder in manchen Ländern Feiertage anstehen, „merkt man das hier sofort“, sagt der 29-jährige Türke. Denn die Anrufer sind überwiegend AusländerInnen.

Als vor eineinhalb Jahren ein schweres Erdbeben die türkische Stadt Izmit erschütterte, war der Andrang seiner Landsleute besonders groß und die vier Glasboxen beinahe durchgehend besetzt. Die Kundschaft ist ein Abbild der Umgebung. Das Erdbeben in Indien hingegen war nicht im Laden spürbar. Es leben anscheinend nur wenige InderInnen im Schanzenviertel.

Aber auch sonst gäbe es KundInnen, die jeden Tag telefonieren, „Stammkunden“, wie Ayham Altinkaynak beschreibt, „die ich mittlerweile mit Namen begrüßen kann.“ Menschen aus Ecuador, Togo oder Istanbul. An manchen Tagen werden bis zu 150 Gespräche geführt. Eine wirkliche Konkurrenz mit dem Telemaxx, das gleich um die Ecke liegt, gibt es daher nicht. Denn auch dort, im größten Teleshop der Gegend, greift die Klientel regelmäßig zum Hörer. „Wenn ich um Mitternacht schließen will, rennen mir die Leute oft die Bude ein, so viele wollen noch an die Strippe“, sagt die 20-jährige Sengül, die seit einem Monat im Laden am Schulterblatt arbeitet. Davor verkaufte sie in einem Telefonshop nahe der Reeperbahn Gespräche.

Auch dort hätten die KundInnen regelrecht Schlange gestanden, erzählt sie. Wenn im Telemaxx alle elf Sprechzellen und auch die geräumige Familienkabine besetzt sind, vermischen sich die unterschiedlichsten Silben. Es trifft sich die Welt und man versteht sein eigenes Wort nicht mehr.