: Platt aus Bequemlichkeit
Letztes Fahrradgeheimnis gelüftet: Zu viele fahren mit zu wenig Luft. Und verzichten so auf Fahrkomfort und Pannensicherheit. Hersteller und Handel nehmen sich nur langsam des Themas an
von KLAUS KONIEZKA
Deutschlands Radlern geht die Luft aus – und kaum einen stört’s. Nachzulesen in der Diplomarbeit „Empirische Untersuchung zum Reifenluftdruck und dessen Auswirkungen auf den Radsport“. Demnach greifen fast 60 Prozent der Alltagsradler erst dann zur Luftpumpe, wenn sie auf der Felge fahren. Dies hat Timo Maurer, Student der Deutschen Sporthochschule Köln, durch Befragung von 661 Fahrradfahrern festgestellt.
Er unterscheidet zwischen Alltags- und Tourenradlern – und das aus guten Gründen. So pumpten die 198 interviewten Tourenradler wesentlich öfters und gezielter als die Alltagspedaleure (463 Probanden). Bei ersteren lag die durchschnittliche Abweichung vom Idealluftdruck (siehe Kasten) bei minus 18 Prozent, in der Vergleichsgruppe hingegen fehlten satte 43,5 Prozent im Schlauch. Die nach Reifenbreite kategorisierte Untersuchung brachte bei den häufig gefahrenen mittleren Breiten der Alltagsradler (meistens City- oder Trekkingbikes) ein noch weniger schmeichelhaftes Ergebnis: minus 56 Prozent!
Offensichtlich ist kaum bekannt, dass der richtige Luftdruck für mehr Fahrkomfort, größere Pannensicherheit und weniger Krafteinsatz sorgt. Maurer weist nach, dass Reifenpannen etwas mit mangelnder Luft zu tun haben. So gaben 15 Prozent der pumpfaulen Alltagsradler an, mehr als zwei Pannen in den letzten zwölf Monaten gehabt zu haben, bei den Tourenradlern waren es nur acht Prozent. Immerhin hatte jeder zweite Alltagsfahrer keine Panne, bei den Tourern kamen fast zwei Drittel ohne Platten durch. Der Rest der Vergleichsgruppen, jeweils circa ein Drittel, musste ein- bis zweimal jährlich zum Flickzeug greifen.
Woran es nun liegt, dass so wenige Radler mit dem optimalen Luftdruck fahren, ist auch für die Branche noch nicht geklärt. Die meisten Reifenhersteller meinen wohl, ihre Pflicht mit den Angaben auf dem Pneu getan zu haben. Erst allmählich entsteht das Bewusstsein, die Kunden auch gezielt über die Bedeutung des richtigen Drucks aufklären zu müssen. Die Firma Bohle zum Beispiel legt seit einem Jahr ihren Schwalbe-Schläuchen einen – Airmax genannten – Mini-Manometer sowie eine Tabelle mit den empfohlenen Atü-Werten bei. Laut Produktmanager Carsten Zahn plant Bohle, jetzt alle im Fachhandel angebotenen Reifen mittels einer Banderole mit ausführlichen Informationen zu versehen. Dies macht aber nur Sinn für diejenigen, die einen Reifen nachkaufen. Geht es um neue und komplette Fahrräder, hat die Informationspflicht allein der Fachhandel.
Und hier hängt viel davon ab, wie beratungsfreudig ein Verkäufer ist. Bei Neukäufen werden vor allem Komponenten wie Schaltung, Bremsen oder Federung beleuchtet. Beim Nachkauf verhindert der eher geringe Preis von Schlauch und Reifen die ausführliche Beratung.
Übrig bleibt ein schlecht informierter Kunde, wie auch Gerd Gaumann von Berliner Fahrradgeschäft „Zentralrad“ bestätigt: „95 Prozent unserer Kunden haben keine Ahnung, wie viel Luft in einen Reifen gehört.“ Und manche wollte es auch gar nicht wissen, meint der Fachhändler. „Das Fahrrad wird häufig nicht als technisches Produkt wahrgenommen, das gepflegt und gewartet werden muss. Für viele ist es nur billiger Autoersatz oder Spielzeug.“
Bei „Zentralrad“ wird der Kunde sowohl bei Neukauf als auch nach einer Reparatur mit einem Vordruck über Reifen und dessen Pflege versorgt. Damit können sich die Radler dann ihr Wunder selbst besorgen. Denn viele sind nach einer Inspektion, „bei der wir fast nichts gemacht haben, außer den Luftdruck verdoppelt“, völlig überrascht, wie leicht ihr Fahrrad fährt, berichtet Gaumann.
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