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Angespannt und gewaltbereit

Die Stimmung in Tetovo wird aggressiver. Sollte die Polizei nicht mit den Albanern fertig werden, sagen Makedonier, „greifen wir selbst zu den Waffen“

aus Tetovo ERICH RATHFELDER

Die Bar neben der Tankstelle an der Straße zwischen Skopje und Tetovo ist wie immer gut besucht. Anders als sonst jedoch ist sie voll wild gestikulierender Menschen. Es gibt nur ein Thema: der Krieg. Es sind hier vor allem slawisch sprechende Makedonier versammelt, Leute aus der Hauptstadt Skopje und Ohrid, die Angst haben, ihr Land könnte durch die Schießereien zwischen der albanischen UÇK und der makedonischen Polizei in zwei Teile zerrissen werden. Wie alle Gebiete des südlichen Balkans habe Makedonien eine verworrene Geschichte, erzählt Petar, ein Lkw-Fahrer, der sich dem Besucher nach anfänglichem Misstrauen nähert. Der größte Teil der 1,6 Millionen Menschen zählenden Slawisch sprechenden Bevölkerung Makedoniens stamme von dem Turkvolk der Bulgaren ab, erklärt der 35-Jährige, der die Region wie seine Westentasche kennt. „Wir sind also keine Slawen.“

Petars Äußerung löst leidenschaftliche Diskussionen aus. Makedonier seien eine eigenen Nation, sagt etwa der Kollege Pedrag. „Wir haben eine eigene Sprache, die nicht Serbisch und nicht Bulgarisch ist. Wir sind allerdings orthodoxen Glaubens.“ Umgeben von feindlichen und ambitionierten Nachbarn – den Griechen, die das Land seit jeher als ihres betrachten, den Bulgaren und den Serben, die in den Balkankriegen ab 1912 versuchten, das Land zu okkupieren –,hätten Makedonier also keine Freunde. „Aber unser Hauptfeind, das sind die Albaner, die wollen unseren Staat zerstören.“ Pedrag zeigt auf die umliegende Landschaft. Weiß leuchten die Moscheen in den Dörfern, in denen hauptsächlich muslimische Albaner wohnen.

„Wir Albaner sind das älteste Volk auf dem Balkan“, sagen dagegen die Albaner. In ihrer Gesichtsauffassung sind Slawen und Bulgaren nur Einwanderer. Am Rande Skopjes schon begännen die albanischen Siedlungsgebiete, bekräftigt Süleyman Sulimani, Rektor der Universität von Tetovo, der 200.000 Einwohner zählenden, zweitgrößten Stadt des Landes. Sie zögen sich über das Tal von Tetovo entlang der Grenze zu Kosovo und Albanien. Fast 40 Prozent der Bevölkerung sei albanisch. Makedonien sei also nicht nur der Staat der Makedonier, sondern auch der Albaner, erklärt der Professor für deutsche Sprache an der Privatuniversität, die in Tetovo entstanden ist, weil es albanischen Studenten seit der Unabhängikeit des Landes 1991 verwehrt ist, in ihrer Sprache an der Universität von Skopje zu studieren.

„Irgendwann platzt dir der Kragen“

Iser P. hat lange Jahre in Deutschland als Betonfacharbeiter, später als Vorarbeiter in einer Baufirma gearbeitet. Jetzt besitzt der 45-Jährige eine eigene. Das schmucke Anwesen am Rande Tetovos „ist durch meine Hände Arbeit“ entstanden, betont der „Chef“, der ein Restaurant und ein kleines Hotel mit 6 Zimmern und Satelliten-TV eröffnet hat.

Für ihn hat der jetzt ausgebrochene Konflikt schon lange gegärt. „Immer haben wir Albaner uns geduckt. Für jede Kleinigkeit musste ich in diesem Staat bezahlen“, sagt P. Früher habe er 1.000 bis 2.000 deutsche Mark für einen Pass hinblättern müssen, die Polizei sei immer autoritär aufgetreten, als seien die Albaner Ausländer. Wollte er sein Telefon reparieren lassen, erzählt Iser P., musste er den Techniker mit dem Wagen abholen, bewirten und wieder in die Stadt bringen. „Das mag vielleicht nicht so wichtig erscheinen, aber wenn du jahrzehntelang im täglichen Leben diskriminiert wirst, platzt dir irgendwann der Kragen.“

Dies sei mit ein Grund dafür, dass die UÇK so viele Anhänger auch unter den Albanern Makedoniens habe. Trotz der Erfolge der Albanerpartei in der Regierung. „Manches ist besser geworden, wir haben jetzt sogar albanische Polizisten, der Bürgermeister von Tetovo ist Albaner, der Polizeichef auch. Aber bei wirklich wichtigen Entscheidungen werden wir, die 80 Prozent der Bevölkerung Tetovos stellen, ausgeschlossen. Wir wollen gleichberechtigte Bürger sein.“

Rauch steigt von dem Berg auf, der sich über der Altstadt von Tetovo erhebt. Der Wald brennt. Makedonische Miliz hat Granaten auf die UÇK-Rebellen gefeuert, die sich oben auf dem Berg verschanzt haben. Es soll sich um 150 gut ausgerüstete Kämpfer handeln. Menschen stehen herum, schweigend und mit sorgenvoller Miene beobachten sie das Schauspiel. Eine Albanerin holt ihre Kinder ins Haus. Aber die Kleinen sträuben sich. Sie wollen zusehen, wie da geschossen wird. Auf einigen Balkonen sitzen Leute mit Ferngläsern.

Anders als zu Beginn der Kämpfe, als die Stadt wie ausgestorben war, hatte sich das Leben am zweiten Tag schon etwas „normalisiert“. Die Geschäfte hatten geöffnet, Autos fuhren durch die breiten Straßen des modernen Zentrums. In den Straßencafés saßen die Gäste und blickten, an einem Capuccino nippend, auf den Gebirgszug, wo Schüsse gellten oder der dumpfe Knall von Mörsergranaten die Stille zerriss. Doch schon am Donnerstagabend zogen sich die Leute wieder in die Häuser zurück. Der Schuss eines Scharfschützen hatte vor dem albanischen Restaurant Arbi ein Taxi getroffen und eine Frau verletzt.

„Die ganze Welt hilft den Albanern“

An nur wenigen Kreuzungen der Stadt ist Miliz aufgezogen. Die makedonische Polizei will keine Zwischenfälle provozieren. Weil es unter den Polizisten auch Albaner gibt – drei der elf bei den Kämpfen mit der UÇK verwundeten Polizisten sind albanische Makedonier –, soll die Polizei nach dem Willen der Regierung als neutrale Instanz erscheinen, die lediglich gegen die „Terroristen“ in den Bergen vorgeht.

Der Stadtteil Brest liegt unmittelbar unterhalb des umkämpften Bergrückens. Eine orthodoxe Kirche zeigt, dass hier vor allem Slawisch sprechende Makedonier wohnen. Männer sitzen vor ihren Häusern, die in türkischem Stil erbaut sind, oder unterhalten sich am Denkmal des Ilo Anteski Smok, eines Partisanen, der einstmals in Titos Jugoslawien alle Menschen, gleich welcher Nationalität, für das kommunistische Regime gewinnen sollte.

Misstrauisch blicken die Männer auf ausländische Journalisten. Und sogleich bricht sich Unmut Bahn: „Die ganze Welt unterstützt die Albaner, die uns angreifen wollen. Uns hilft die Nato nicht“, sagt der 75-jährige Novak Evcevski. Ganz in der Nähe abgefeuerte Maschinenpistolenschüsse unterbrechen seinen Redefluss nur kurz. „Mein Sohn wollte mich von hier wegbringen“, sagt er. „Aber dies ist meine Heimat, hier bin ich geboren, ich lasse mich nicht von diesen Albanern vertreiben.“ Die Nachricht, ein älterer Mann und ein vierjähriges Kind, beide Albaner, seien von Kugeln getroffen worden, macht hier wenig Eindruck. „Wir alle wissen, dass die Lage gefährlich wird“, sagt ein Makedonier, ein jungerMann, der einen durchtrainierten Eindruck macht.

„Ein zerstörtes Land nützt keinem“

Zu Beginn der Kämpfe wurden Frauen und Kinder aus dem nur 500 Meter von der Front entfernten Stadtteil gebracht. Auch Nebojsa, ein Mitarbeiter des Fernsehsenders TV-A1, hat seine Familie nach Skopje gebracht. Jetzt sind nur noch die Männer im Stadtteil zurückgeblieben. Und sie sind bereit zu kämpfen, sollte die Polizei nicht erfolgreich sein. „Dann greifen wir selbst zu den Waffen“, sagt ein junger Mann. Dass makedonische Zivilisten schon jetzt schießen, streitet er ab. Die Stimmung wird aggressiver. „Wenn die Amerikaner die Albaner so lieben, warum bringen sie sie dann nicht alle in die USA?“, fragt einer. „Ich bin sicher, sie bräuchten nur 24 Stunden, um deren Gesellschaftssystem zu zerstören“, witzelt ein anderer.

In Tetovo leben die Volksgruppen bereits von einander getrennt. Makedonier machen Umwege, um nicht durch von Albanern beherrschte Straßen fahren zu müssen. Albaner meiden die Viertel der Orthodoxen. Restaurants und Cafés, in denen beide Bevölkerungsgruppen verkehren, scheint es nicht mehr zu geben. Ein junger Albaner gibt der Polizei und den Makedoniern die Schuld an den Kämpfen. Freimütig erklärt er, die UÇK werde bald auch in der Stadt operieren. „Die Uniformen liegen bereit.“ Tausende junge Männern würden nur darauf brennen, sie zu tragen. Er schaut auf die Rauchwolken. „Bald wird das ganze Land so aussehen, wir werden kämpfen müssen.“ Umstehende Jugendliche nicken beifällig.

Bekim Vroni ist ein alter Mann. Er hat Tränen in den Augen. Er deutet auf die von Albanern neu gebauten, dreistöckigen Häuser. „Ein zerstörtes Land nützt niemandem etwas“, sagt er den jungen Heißspornen. Aber seine Vorhaltungen werden ignoriert. Eine albanische Mitarbeiterin des örtlichen Radios ist entsetzt: „Makedonien ist doch ein Land für alle. Warum machen wir einen Aufstand, wir können doch friedlich um unsere Rechte kämpfen, wir wollen doch alle besser leben. Gibt es denn keinen Kompromiss mehr?“ Von den Anhängern der UÇK hat sie auf ihre Frage keine Antwort erhalten. Und die makedonischen Zivilisten bilden Bürgerwehren.

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