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Die Entzauberung der Sesamstraße

„Shai Shai Husch Husch Ayouai“ oder Was genau bedeuten eigentlich die Liedtexte bekannter Popsongs? In der DDR war man, mangels fundierter Englischkenntnisse, auf Spekulationen angewiesen. Aber auch in der Muttersprache ergeben sich oft Dekodierungsprobleme. Ein Erfahrungsbericht

Die Wahrheit ist oft nur eine mögliche Variante – und nicht immer die bessere

von JOCHEN SCHMIDT

Die DDR hat uns an die russische Sprache festgekettet und unser Englisch verkümmern lassen. Dadurch waren wir auf die russischen Nachrichten angewiesen, weil wir die englischen nicht verstanden. Dadurch bekamen wir natürlich alles erst Jahre später mit, weil die russischen Transistorradios viel langsamer waren als die japanischen. Und aus dem Grund war uns auch die englische Beatmusik nur als Musik zugänglich – die Texte entfalteten vor unserem Geist gar nicht ihren eigentlichen Sinn.

Jeder verstand ein wenig. Aber an bestimmten Stellen scheiterten alle. Bei „Hey Music auf SFB 2 mit Jürgen Jürgens“ gab es mal eine Rubrik, in der Hörer ihre Übersetzungen vorstellen konnten: „Ich bin ein materielles Mädchen, ich bin ein materielles Mädchen, heut Nacht bin ich ein materielles Mädchen.“ Das hat uns ein Stück weit die Augen geöffnet. Aber bei den anderen Songs war man trotzdem auf sich allein gestellt. Ich habe nie verstanden, was in „All You Need is Love“ am Ende gesungen wird: „all you need is love, bum-bu-du-du-dumm, all you need is love, bum-bu-du-du-dumm, all you need is love, love“, und jetzt: „fradeldaundeldidi“ Oder Kajagoogoo, „Shai shai husch husch ayouai“, das klang eher arabisch.

Es war oft noch nicht einmal möglich, sich über die Namen der Interpreten zu einigen. Es gab die Nik-Kershaw-Fraktion und die Nick-Kershill-Fraktion. Wie mir zugetragen wurde, gab es in einigen Gegenden der DDR sogar noch eine Nick-Kersher-Fraktion, die hat aber politisch kaum eine Rolle gespielt. Diejenigen, die in der Stasi waren und deshalb in der Schule Englisch lernen durften, taten so, als hätten sie diese Sprache für sich gepachtet, und schauten hochnäsig auf die anderen herab. Es war auch die Zeit, in der man sich mit seinem Geschmack ins gesellschaftliche Abseits manövrierte. Es war nicht möglich, bei den Klassendiscos einen Song durchzuboxen, der nicht in den Charts war – die für uns natürlich „Charles“ hießen, wie der englische Prinzenkönig. Mein Argument, die Beatles hätten 300 Songs gemacht und Nik Kershaw oder Kershill nur 3, zog nicht. Und so musste ich mit den anderen weiterrätseln, wer Harry war und warum er nicht zurückkam, wir fragten uns das genauso verzweifelt wie der Sänger und bewegten die Lippen: „Please, Harry, why don’t you come back?“. War es vielleicht ein Freund des berühmten Don Camisi?

Oft genug scheiterten wir ja schon an deutschen Textstellen: „Die Heimat hat sich schön gemacht und taublitzt mir im Haar.“ Ja, sicher, unsere Heimat taublitzte uns allen im Haar, deshalb waren wir ja auch so scharf auf die Schlager der Woche vom SFB. Nur, hieß es beim Sonderzug nach Pankow: „Alle diese Schlageraffen dürfen da singen, dürfen ihren ganzen Stolz zum Vortrage bringen“, oder „ihren ganzen Schrott“? Und dann diese mysteriöse Stelle bei Nena: „Ich bin total verwehrt, ich werd verrückt, wenn’s heut passiert.“ Verwehrt? Wer hatte Nena ein so altmodisch klingendes Wort in den Mund gelegt? Bei Grönemeyer musste man natürlich auf alles gefasst sein. Aber was bedeutete die Zeile: „Männer habens schwerlings leicht, außen hart . . .“ Schwerlings? War das ein Adverb oder so was, das wir bei uns nicht kannten? So oft man die Songs auch hörte, man kam der Wahrheit nicht näher. Und eins ist mir erst nach der Wende erklärt worden: Nämlich dass es im Sesamstraßen-Lied hieß „Wer wie was, wer wie was, wieso weshalb warum . . .“ Das hat mich tief getroffen. Für mich war es immer ein mysteriöser Song gewesen. Ich hatte nämlich nie „Wer wie was“ verstanden, sondern „Bärligass“, was natürlich ein Straßenname aus dem Sesamkiez war. Hier der Text, wie ich ihn verstand: „Bärligass, Bärligass, wieso weshalb warum, wer nicht fragt bleibt dumm, tausend goldne Socken, die gibt es überall zu sehn, fragt man bloß Matrosen, um sie zu verstehn.“

Dass ich mit meinen Schwierigkeiten nicht allein dastehe, beweist mir jetzt die Website www.kissthisguy.com, die sich nach dem von Jimy Hendrix provozierten berühmtesten mishearing benennt. Dort kann jeder seine eigenen Schlüsselerlebnisse einschicken und eine kurze Notiz dazu, bei welcher Gelegenheit das böse Erwachen gekommen ist. Mancher wurde im Stau stehend vom Fahrer des Nachbarautos aufgeklärt, weil er gerade AC/DC inbrünstig, aber falsch mitgebrüllt hatte. Aus „Dirty deeds and they’re done dirt cheap“ wurde „Dirty deeds and they’re done with sheep“, was natürlich bei einer australischen Band nicht abwegig erscheint.

Man kann auch angeben, ob man seine eigene Version besser findet als die „richtige“. Jemandem, der bei Bananarama nicht „Robert de Niro’s waiting, talking Italian“, sondern „Robin the hero’s waiting, the bald-headed champion!“ verstanden hat, gilt meine Sympathie. Er schreibt in der Rubrik „The embarrassing moment of revelation“: „It wasn’t embarrassing at all – I think my version makes as much sense as the real lyrics“, worin man ihm zustimmen muss. Die falschen Versionen sind überhaupt meist viel poetischer und rücken manch schiefes Bild wieder zurecht. Ein Klassiker ist hier sicher „Lucy in the sky with diamonds“ – „Lucy and this guy eat ions“ hätte auch den Beatles besser gefallen müssen, dazu braucht man gar kein LSD. Und viel wahrscheinlicher, wenn auch weniger romantisch als „The girl with kaleidoscope eyes“ klingt „The girl with colitis goes by“.

Beim Inselenglisch verstehen auch die Amerikaner nur Bahnhof. Man müsste einmal eine Erhebung machen, was bei Song 2 von Blur so alles inbrünstig mitgebrüllt wird. Sicher nie zweimal dasselbe. Ich bin jedenfalls noch nie zur angeblich richtigen Version herumgesprungen: „I got my head checked, by a jumbo-jet“ Ich kann mich eher mit meiner Version identifizieren: „I got a headache, buying some old dreck“. Aber dank www.kissthisguy.com werde ich vielleicht demnächst umsteigen auf: „I got my head shaved, by a trombone chain“. Das passt sogar noch besser zur Gitarre.

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