Generalprobe für Genua in Neapel

Wenige Monate vor dem G-8-Gipfel knüppelt die italienische Polizei Globalisierungsgegner zusammen

ROM taz ■ Mit in ihrer Brutalität seit Jahren nicht gekannten Polizeieinsätzen, mit wenigstens 200 Verletzten und zahlreichen Festnahmen, ist am Samstag in Neapel eine Großdemonstration von Globalisierungsgegnern zu Ende gegangen. Anlass der Mobilisierung des „Popolo di Seattle“, des „Volks von Seattle“, war das von der italienischen Regierung ausgerichtete Globale Forum zu Informationstechnologien, auf dem Vertreter von 120 Staaten, internationalen Organisationen und von IT-Großfirmen versammelt waren. Im Saal ging es um „e-government“ und „e-democracy“. Vor allem die Minister der italienischen Mitte-links-Regierung betonten, ihr Anliegen sei es, die Spielräume der Demokratie und der Partizipation auszuweiten und in einen Dialog mit den Kritikern der Globalisierung zu treten.

Als sich dann aber am Samstag mehr als 20.000 Personen in Neapel zum „Global Action Day“ einfanden, war von Dialog keine Spur. Der Zug, der sich vom Hauptbahnhof aus in Bewegung setzte, spiegelte die ganze Breite des von Seattle ausgegangenen Protestes mit einigen napolitanisch-mediterranen Weiterungen: Grüne und Kommunisten, Jugendliche der besetzten Autonomen Zentren und Mitglieder der Arbeitslosenkomitees aus Neapel. „No pasaran“ hieß es auf dem großen Transparent an der Zugspitze, und gleich darunter in neapolitanischem Dialekt: „Jatevenne“ – „Haut ab!“.

Abgesehen von einigen kleineren Scharmützeln der Polizei mit den etwa 300 gewaltbereiten Anarchos und Autonomen verlief die Demo zunächst friedlich. Als aber eine Gruppe von 300 Personen den Polizeikordon durchbrechen wollte, um den Protest direkt vor dem Tagungsgebäude vorzutragen, eskalierte die Situation. Polizei und Carabinieri, die mittlerweile die Demonstranten auf der Piazza del Municipio eingekesselt hatten, gingen mit massiven Knüppeleinsätzen, Tränengas und Gewehrkolbenschlägen gegen die fast durch die Bank friedlichen und gewaltlosen Teilnehmer der Kundgebung vor, denen jede Fluchtmöglichkeit versperrt war. Filmdokumente und Fotos zeigen wahre Jagdszenen, deren Opfer oft halbe Kinder wurden; 15-jährige Gymnasiasten wurden genauso niedergeknüppelt wie eine schwangere Frau, unbeteiligte Passanten, Reporter und selbst zwei Polizisten in Zivil, denen die Carabinieri nicht glauben wollten, dass sie zu den „Ordnungskräften“ gehören.

In ihren Reihen zählten die Sicherheitskräfte etwa 100 Verletzte. Die Zahl der verletzten Demonstranten dürfte weit höher liegen. 40 Personen wurden vorrübergehend festgenommen; zwei von ihnen blieben wegen Körperverletzung und Widerstandes gegen die Staatsgewalt in Polizeigewahrsam.

Trotzdem zogen die Organisatoren der Kundgebung eine positive Bilanz. Ihnen sei die größte Mobilisierung gegen die Globalisierung gelungen, die Europa je gesehen habe; die Generalprobe für Genua sei geglückt. Dort findet Ende Juli der nächste G-8-Gipfel statt: das italienische „Volk von Seattle“ kündigt jetzt schon an, es werde dort 100.000 Menschen auf die Straße bringen. Allerdings steht zu befürchten, dass auch die Polizei Neapel als Generalprobe für Genua betrachtete – und dass die jetzt wiederum von Italiens Regierung bekräftigte Bereitschaft zum Dialog Makulatur bleibt.

MICHAEL BRAUN