: Schrill, beinahe
Auf, zu kürzeren Intervallen: Ein Rückblick zum Ende der Musik-Biennale, die ab jetzt jährlich ausgetragen wird
Die Musik-Biennale ist ein Festival für neue Musik, aber auch eine Lehrstunde in musikalischer Interpretation. Am Wochenende traten die beiden wohl wichtigsten deutschen Ensembles für zeitgenössische Musik zum Fernduell an: das Frankfurter Ensemble Modern und das Freiburger Ensemble Recherche. Beide hatten, dem Schwerpunkt des Festivals folgend, ein rein französisches Programm zusammengestellt, darunter jeweils ein Werk des 1998 gestorbenen „Spektralisten“ Gérard Grisey. Gemeinsamkeiten genug für einen Vergleich.
Das Ensemble Modern genießt den Ruf, eine latent populistische und dabei kommerziell überaus erfolgreiche Politik zu betreiben. Es passte also ins Bild, dass man mit den „Quarte Chants pour franchir le Seuil“ („Vier Gesänge, um die Schwelle zu überschreiten“) Griseys bilderreichstes und am leichtesten zugängliches Opus zur Aufführung brachte. Tatsächlich streiften die Musiker anfängliches Zögern bald ab, um die feinsinnigen Effekte der Partitur auszukosten. Beinahe schrill, ja jazzig geriet da die Sturmepisode des letzten Gesangs. Mit „Sur Incises“ von Pierre Boulez reanimierte das Frankfurter Ensemble schließlich eine so abwegige Tugend wie Spielfreude. Das mit drei Klavieren, drei Harfen und drei Schlagzeugen ungewöhnlich besetzte Stück lebt von seinen Tempi und seiner Virtuosität, und unter der durch und durch musikantischen Interpretation gewinnt der räumlich entfächerte Klang fast elektroakustische Qualität.
Dass die ansonsten durchaus überzeugende Vorstellung des Ensemble Modern dennoch problematisch ist, wird im Vergleich mit dem Konzert des Ensemble Recherche deutlich. Im bestens eingespielten Kreis des engeren Ensemblestamms wagen sich die Musiker zu wenig bekannten Werken vor einer verwaschenen Klanglandschaft von Hugues Dufourt und einer sperrigen Uraufführung von Philippe Hurel. Die Freiburger stellen sich souverän und uneitel in den Dienst der Werke. Griseys „Talea“ gelingt schlicht, sachlich und eben darum transparent; hier erschließen sich dem Hörer formale Zusammenhänge ohne Widerstand. Frankfurter „Heißa“ vs. Freiburger „Aha“ also.
Über derartige Vergleiche hinaus lässt sich ein abschließendes Urteil über die gerade zu Ende gegangene Musik-Biennale kaum fällen. Nichts Neues in der neuen Musik, wollte man meinen, wären da nicht jene Momente gewesen, die den Fortbestand der ernsten Musik auf kommende Jahrhunderte zu sichern scheinen. Isabel Mundrys räumlich konzipiertes Orchesterstück „Ferne Nähe“ (2001) vermittelte brillant, wie sich mehrkanalige Technik auskomponieren lässt. Man muss sich fragen, warum überhaupt irgendwer das Orchester noch auf dem Podium belässt.
Younghi Pagh-Paan, Südkoreanerin und seit 1974 Wahldeutsche, führte mit „Dorthin, wo der Himmel endet“ (2000/01) vor, wie man Rhetorik und Effekt komponiert, ohne geschwätzig zu wirken. Pagh-Paan mobilisierte dichte, vierteltonig getrübte und von knöchernem Schlagwerk durchzogene Klangwolken, aus denen sich der Mezzosopran von Mireille Capelle dunkel und gespenstisch herausschälte. Die Schauspielerin Viviane de Muynck schließlich veredelte Salvatore Sciarrinos sensationelles Musiktheater „Lohengrin“ (1982–84) mit der ungewöhnlichen Virtuosität ihrer Kehl- und Speichellaute.
Ab kommendem Jahr wird die Musik-Biennale – aus noch nicht geklärten Gründen – jährlich ausgetragen. Das kürzere Intervall wird dem Festival gut tun, sofern es die künftige künstlerische Leitung von aufgestautem Erfolgsdruck befreit. Die Nachfolge der bisherigen Programmverantwortlichen, Heike Hoffmann, soll im April bekannt gegeben werden. BJÖRN GOTTSTEIN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen