: Stolpernd ins Le Stübli
Die Enkel von Grass und der Globalisierung: Mit junger Literatur mühte sich die Bundesrepublik beim „Salon du Livre“ in Paris um eine Imagekorrektur
von RUTH SPIETSCHKA
Modern und nach allen Seiten offen, jung und unverkrampft – so möchte sich Deutschland als Ehrengast auf der diesjährigen Pariser Buchmesse präsentieren. Zu diesem Zweck entwarf die Düsseldorfer Architektin Sabine Weissmüller eine Hügellandschaft aus hellem Holz, darauf locker verteilt bunte Kugeln und Eier als Sitzgelegenheiten und lange Tische, auf denen sich ein Buch an das andere reiht. Uninspirierter bietet wohl keine Vorstadtbuchhandlung ihr Angebot feil, und unbeabsichtigt geriet die Standarchitektur auch zum Symbol für die Stolpersteine, die deutsch-französische Begegnungen nach wie vor bergen: Auf dem spiegelglatten Boden haben in den ersten Messetagen etliche, nicht nur ältere Besucher das Gleichgewicht verloren. Schon der Name des Cafés auf dem Stand „Le Stübli“ verrät, wie schwer es ist, deutscher Tümlichkeit zu entgehen.
Anders als Frankfurt ist Paris keine Fachmesse, auf der Lizenzen gehandelt werden, sondern eine Verbrauchermesse, auf der Bücher verkauft und signiert werden. Für die Branche ist der Salon du Livre ein großes Schaufenster, für Autoren und Leser einer der raren Orte der Begegnung in einem Land, in dem es keine Literaturhäuser und keine Autorenlesungen gibt. Deutschland ist zum zweiten Mal in Paris zu Gast: Nachdem sich im Frühjahr 89 die alte Bundesrepublik vorgestellt hatte, hat der französische Verlegerverband die Einladung in diesem Jahr wiederholt, um einen Blick auf das neue Deutschland zu werfen – ein Land, das für die Franzosen noch immer weitgehend Terra incognita ist. Zwar sind kulturelle Debatten in Deutschland in den seltensten Fällen literarische. Trotzdem ist der Blick, den man in diesen Tagen an der Porte de Versailles auf Deutschland wirft, ein literarischer. Das hat Tradition auf dem Salon du Livre.
Unter den 50 Autoren, die das sechstägige Mammutprogramm aus Lesungen, Debatten und Performances stemmen, dominieren die Erzähler; Dramatiker, aber auch Lyriker, die weder rappen noch rocken, sind nicht mit von der Partie. Im Gefolge des in Frankreich nicht erst seit dem Nobelpreis hoch angesehenen Günter Grass ist vor allem die jüngere Generation angereist, also jene Autoren, die wahlweise etikettiert als „Fräuleinwunder“ oder „Enkel von Günter Grass“ erst nach der Wende auf sich aufmerksam gemacht haben. Viele von ihnen wurden erst im Vorfeld der Messe erstmals ins Französische übersetzt, sind aber beim Publikum noch weitgehend unbekannt. Galt deutsche Gegenwartsliteratur in Frankreich bislang als streng und schwierig, farb- und humorlos, eilt diesen jungen Autoren der Ruf voraus, lesbarer, witziger und lebensnäher zu sein. Darüber hinaus gibt sich das junge Deutschland in Paris bunter und polyglotter, als man es diesseits des Rheins erlebt: Zur Reisegesellschaft gehören die in Hamburg lebende Japanerin Yoko Tawada ebenso wie der türkischstämmige Feridun Zaimoglu oder die Sorbisch und Deutsch schreibende Róßa Domascyna. Der Übersetzerin Nicole Bary, die von französischer Seite aus das Programm mitgestaltete, erschien die Einladung vor allem junger Schriftsteller zu kommerziell; Alter und Generation sind für sie keine literarischen Begriffe. Wichtig war ihr, dass in Paris auch Autoren aus der ehemaligen DDR zu Wort kommen wie Christoph Hein oder Volker Braun, die 1989 gänzlich ausgeklammert waren.
Messeeröffnung durch Jacques Chirac und Gerhard Schröder mit anschließendem Empfang im Matignon durch Lionel Jospin, Empfänge beim französischen Außenminister und in der Deutschen Botschaft – diplomatisch höher hängen ließ sich der deutsche Auftritt in Paris eigentlich nicht. Nach dem Ankauf der Sammlung Berggruen boten der Salon du Livre wie auch der vorausgegangene Besuch im Deutschen Forum für Kunstgeschichte dem Kanzler erneut die Gelegenheit, die Kultur zur Chefsache zu machen und sich als Anwalt der Künste zu präsentieren. In einem Land, dessen führende Politiker von de Gaulle bis Mitterrand stets Hommes d’État und Hommes de Lettres waren, hätte man Schröder freilich einen etwas geistreicheren Redenschreiber gewünscht. Sein entschiedenes Eintreten für die Buchpreisbindung markiert den deutsch-französischen Schulterschluss in der Auseinandersetzung mit den Brüsseler Wettbewerbshütern. Politisch war das ein eher billig zu habendes Bekenntnis zur Kontinuität der besonderen deutsch-französischen Beziehungen. Wenn in Paris von diesen die Rede war, stand häufig, ausgesprochen oder unausgesprochen, der vage Begriff der „Normalität“ im Raum – so auch beim Vortrag von Julian Nida-Rümelin auf dem parallel zum Salon stattfindenden Deutschlehrertag im Goethe-Institut. Doch die gerne verdrängten Dimensionen des Begriffs wurden deutlich, als ein französischer Diskussionsteilnehmer feststellte, dass man als Franzose noch nicht mit einem Deutschen über Vichy sprechen könne, ohne sich unbehaglich zu fühlen.
Was wird bleiben vom Pariser Event? Mehr als von den Auftritten der meisten Gastländer in Frankfurt, die man in der Erinnerung kaum mehr auseinander halten kann? Wenig, wenn es nicht gelingt, vor allem bei der jüngeren Generation ein dauerhaftes Interesse am Nachbarn zu wecken. Und die Sprache ist, so Nida-Rümelin, „das Tor zum Verständnis der jeweiligen Kultur“. Gerade da aber sieht es in Frankreich düster aus: Seit 30 Jahren geht das Interesse der Schüler an der Fremdsprache Deutsch kontinuierlich zurück. Mit Imageproblemen kämpfen sowohl die Sprache – Deutsch gilt in Frankreich als besonders schwere Sprache – als auch die Kultur: „Die Entscheidung für Deutsch war selten eine Wahl des Herzens, vielmehr eine Wahl der Bildungsstrategie“, so Helmut Schippert vom Pariser Goethe-Institut. Angesichts personell überalterter Mittlerorganisationen war die Entscheidung, auf dem Salon du Livre vor allem junge Autoren zu präsentieren, somit sicher ein Schritt in die richtige Richtung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen