Warten auf Gerechtigkeit

In Kambodscha muss das Menschenrechtstribunal noch viele Hürden überwinden, bevor die Verbrechen der Roten Khmer aufgearbeitet werden können. Kritiker befürchten eine Farce, für Optimisten ist die Suche nach der Wahrheit unaufhaltbar

aus Phnom Penh JUTTA LIETSCH

Hinter den Mauern des Gefängnisses in Phnom Penh sitzt ein alter Mann und wartet auf seinen Prozess. Der Name des hageren 74-Jährigen erfüllte die Herzen der Kambodschaner einst mit Schrecken: Ta Mok. Als Militärchef gehörte er zu den grausamsten Führern des Pol-Pot-Regimes, dem von 1975 bis 1979 über eine Million Menschen zum Opfer fielen. Außer Ta Mok ist von den einst Verantwortlichen nur noch Kaing Khek Iev in Haft. Er war Oberaufseher des zentralen Foltergefängnisses, in dem über 14.000 Menschen umkamen. Die anderen überlebenden Führer der Roten Khmer leben reuelos unter ihren Opfern.

Obwohl Kambodschas Parlament, Senat und Verfassungsrat zum Jahresbeginn das lange geforderte Menschenrechtstribunal beschlossen haben, ist der Prozess noch nicht in Sicht. Es ist immer unwahrscheinlicher, dass sich Ta Mok noch für seine Taten verantworten muss: „Niemand weiß, wann der Prozess endlich beginnen kann“, sagt Youk Chhang, der Leiter des Völkermord-Dokumentationszentrums in Phnom Penh. Dort wurden bisher über 600.000 Zeugnisse der Terrorherrschaft gesammelt.

Der Grund: Weder König Norodom Sihanouk noch sein Stellvertreter, der Senatspräsident Chea Sim, haben das Gesetz bislang unterzeichnet. Jahrelang hatten sich UNO und Premier Hun Sen darüber gestritten, wie die Roten Khmer zur Rechenschaft gezogen werden könnten. Hun Sen lehnte ein internationales Verfahren nach dem Vorbild von Ruanda und Jugoslawien strikt ab und bestand auf einem Prozess in Kambodscha unter einheimischer Führung. Als Kompromiss soll es einen gemischten Prozess mit ausländischen Juristen unter kambodschanischer Hoheit geben. Doch die Skepsis ist groß: Einheimische Richter und Ermittler gelten als korrupt und obrigkeitshörig, kompetente Verteidiger fehlen.

„Der König will nichts mit dem Gesetz zu tun haben“, vermutet der oppositionelle Parlamentsabgeordnete Son Chhay. Sihanouk, der unter den Roten Khmer 14 Angehörige verlor, obwohl er Pol Pot anfangs sogar als Staatschef diente, fühle sich in der Klemme: Er will Chinas Regierung nicht vor den Kopf stoßen, die ihm jahrzehntelang das Exil finanzierte. Peking, einst engster Verbündeter der Roten Khmer und heute Kambodschas wichtiger Geschäftspartner, lehnt ein Tribunal strikt ab.

Nach Ansicht Son Chhays zögert der König noch aus einem anderen Grund. „Das Gesetz ist zu schlecht“, sagt er, „es gibt zu viele rechtliche Ungenauigkeiten. Sie werden eine Farce aus dem Tribunal machen, und dafür will Sihanouk nicht verantwortlich sein.“ Auch UNO-Verhandler Hans Corell äußerte schwere Bedenken.

Die Furcht der Kritiker: Die Regierung könnte das Verfahren manipulieren. Das fängt bei der Berufung von Richtern und Ermittlern an und endet bei der Frage, wer überhaupt angeklagt wird. Das Gesetz spricht vage von „hochrangigen Führern des Demokratischen Kampuchea und anderen, die größte Verantwortung für die Verbrechen“ tragen. Aber: „Wer entscheidet, wer damit gemeint ist?“, fragt Son Chhay. In den Regierungsparteien sitzen heute viele abgesprungene Rote Khmer, die kein Interesse daran haben, dass die Vergangenheit aufgewühlt wird.

Besonders umstritten ist das Schicksal des einstigen Außenministers und Vizepremiers Ieng Sary, der 1996 zur Regierung überlief. Der König amnestierte ihn dafür. Der Regierungschef warnt, eine Anklage Ieng Sarys könne den Bürgerkrieg wiederaufleben lassen. Das ist aber wenig glaubwürdig, da die meisten ehemaligen Roten Khmer heute mehr an Geschäften interessiert sind. Aber solche Warnungen nähren die Vermutung, dass es den Mächtigen in Phnom Penh nicht um Gerechtigkeit und Wahrheit geht, sondern um Schadensbegrenzung.

Eine solche Farce „wäre schlimmer, als wenn es überhaupt kein Tribunal gibt“, glaubt Son Chhay, dessen schwangere Schwester von Roten Khmer zu Tode gefoltert wurde und dessen Bruder, Vater, Schwager und andere Verwandte damals ebenfalls umkamen. „Der Prozess muss Gerechtigkeit bringen“, sagt er, „sonst ist es besser, die Schrecken der Vergangenheit ruhen zu lassen, die uns seit mehr als zwanzig Jahren bis in die Träume verfolgen und die wir endlich vergessen wollen.“

Youk Chhang vom Dokumentationszentrum ist optimistischer: „Das Tribunal wird uns helfen, mit der Vergangenheit abzuschließen.“ Wenn erst einmal Führer der Roten Khmer auf der Anklagebank sitzen, werde die Suche nach der Wahrheit nicht mehr zu stoppen sein.