piwik no script img

Ein ganzes Sternensystem

Gitarren, Beats und Politik: Stella am Sonntag in der Tanzhalle  ■ Von Nikola Duric

Im Grunde stellen Stella ein ganzes System dar. Was etwa in Chicago eine Klangschule um den Produzenten John McEntire ist, mit all den Verästelungen von Mutterschiffen wie Tortoise und Sea and Cake bis hin zu Produktionen nicht so bekannter Bands, vereinen Stella in ihrem Hauptprojekt. Nur liegt ihr Schwerpunkt weniger in der Soundforschung, sondern mehr im Abfahren von Inhalten.

Stella als Band besteht aus einem ganzen Ensemble aus Musikern, Querverweisen, Sideprojekten und Lebensläufen. Die Sängerin und Texterin Elena Lange spielt als Frauenrockerin bei TGV, studiert Japanologie und agitiert zu politischen Fragen über den Balkan. Thies Mynther fiel zum ersten Mal als trauriger Solopianist auf kompilierten Punk-Kassetten in den 80ern auf. Dann kam die allwissende Billardkugel. Jetzt gehört er zu Superpunk und gründete etwas Rockelektronisches mit einem Tocotronicer. Mense Reents rockt seit Jahren mit Egoexpress die Tanztempel in D., und der neue Bassist Hendrik Weber hat den Kölner Sound zur zweiten Platte Put Your Fingers on The Trigger for The Years to Come mitgebracht. Sicherlich fehlt hier einiges, aber darum sollen sich Musik-Otakus selbst kümmern.

Irgendwie liegt es nahe, Stella anhand von Stern-Bildern und Konstellationen zu beschreiben. Da ist zum Beispiel die verglühende Galaxis des Debütalbums Extralife. Es kam gerade zum Zeitpunkt, als sich viele „Rocksozialisierte“ vom Klang der Gitarren losgelöst hatten, um sich der Vierer-Bassdrum zu verschreiben. Extralife verband noch einmal die ganzen Klangeinheiten der 80er Jahre als Erinnerungspool mit wunderschönen, untergemischten Melodien. Extralife war Höhepunkt und Endpunkt zugleich von einem Genre, das mit Autobiographischem langsam Schluss machte. Danach war es auch gut mit selbstreferentieller Popliteratur und Jugenderinnerungen. Tocotronic wurden nicht nur im Sound größer, die Goldenen Zitronen kündigten das Ende der Hamburger Schule an und wurden elektronischer, und Elena Lange verlor ihren Status als sexy Shouterin und entwickelte sich zur Sängerin. Das lag vor allem daran, dass ihr Thies und Mense plötzlich verraten hatten, dass man auch näher ans Mikro heranrücken und damit die Worte auch leichter hauchen und singen kann. Neben dem neuen Variantenreichtum von Elenas Stimme, erweiterte sich auch die musikalische Bandbreite für das zweite Album.

Aus dem einzelnen Stern Stella wurde eine ganzes Sternenbild, das Clubkiller wie „Bad News Entertainment“, Rocksongs und Balladen mit in den großen Wagen nahm. Und aus dem Privatistischen wurde das Politische. Warum Elena Lange die serbischen Angriffe auf Slowenien, Kroatien und Bosnien eher wenig beachtet hat, bei den Angriffen der Nato auf Serbien allerdings engagiert explodierte, bleibt ihr Geheimnis. Der plötzlich mögliche Krieg in Europa wurde jedenfalls zur inhaltlichen Blaupause für das '99er Album. Da muss man fast schmunzeln, wenn die Berliner Hammond Inferno ihr Debüt My First Political Dance Album nennen. Hamburg hatte hierbei, ganz ironiefrei, mal wieder die Nase vorn.

Stella lässt sich bis zu einem gewissen Grad als Surrogat des Hamburger Musikuniversums bezeichnen. Gitarren, Beats und Politik sind nur drei Gründe, warum sie das Goethe-Institut um die Welt schicken sollte. Was einem bei „Marafrasi“-Projekten (Mann rappt/Frau singt – oder genauer Mann produziert/Frau singt ) wie bei Elastica und ähnlichen hierarchisch organisierten Gruppen wegen der hohen Chartsplatzierungen die Tränen in die Augen treibt, wäre in einer gerechten Welt anders. Da würden Stella auf dem Treppchen stehen und goldene Schallplatten für Liebessongs über die Venus sammeln.

Am Sonntag zeigen Stella nochmals ihr ganzes Können. Mit einstudierten Choreographien, neuen Remixen und der langvermissten Publikumsbeschimpfung. Der zersplitterte Himmel ist im Falle Stella die bessere Welt.  

Sonntag, 18 Uhr, Tanzhalle St. Pauli; anschließend: Monophonic

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen