: Ein langer, strenger Blick zurück
■ Enttäuschende Fassbinder-Aufführung im Lichthof: „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ verweist Kämpfe im Geschlechterverhältnis an die 70er Jahre
Ein Bühnenbild in dezentem Rosa. Die Zuschauer im Lichthof-Theater sind gewarnt: Vermutlich soll – Fassbinder gemäß – ernst gemacht werden mit einem Grenzgang zwischen Kitsch und Kunst.
Die Regisseurin Erla Prollius hat Fassbinders Theaterstück Die bitteren Tränen der Petra von Kant in dem Bewusstsein ausgewählt, „dass es in der Theaterliteratur weitaus mehr männliche Rollen zu besetzen gibt als weibliche“. Der Text bietet sich an. Nicht nur, weil es ausschließlich Frauenrollen zu besetzen gibt, sondern auch, weil die Figuren von einer patriarchalen Gesellschaftsordnung geprägt sind.
Im Stück ist die Modeschöpferin Petra von Kant (Johanna Krumstroh) eine distinguierte Person. Ihre gescheiterte zweite Ehe misst sie an ästhetischen Kriterien, hinter denen ein emanzipatorisches Ideal steht. Sie wollte „eine schöne Liebe lieben“, und der Mann ekelte sie schließlich an: „Er hat mich hätscheln wollen, versorgen.“ Ihr Souveränitätswunsch hat als Kehrseite einen kühlen, distanzierenden Kontrollanspruch gegen sich selbst wie gegen andere.
Die Beziehungen zu den übrigen Frauen im Stück durchdringen kaum einmal die Oberfläche. Erst die Liebe zur hedonistischen Karin Thimm (Katrin Weisser) scheint die ersehnte Option einer gleichberechtigten Partnerschaft für Petra von Kant zu bringen – und sie wird zu ihrer persönlichen Farce, da die Beziehung bald an der Unterschiedlichkeit der Charaktere scheitert.
In der Low-Budget-Inszenierung bleibt Erla Prollius nahe an der Textvorlage und orientiert sich bei der Umsetzung wohl auch an Fassbinders gleichnamiger Verfilmung. Einerseits spielen die Darstellerinnen zwar sehr souverän ein Stück neuerer Theaterliteratur. Andererseits geht die Inszenierung über diesen Kunstanspruch nicht hinaus, so dass die Originaltreue ein wenig wie das Remake der Theaterverfilmung mit knapperen Mitteln wirkt.
Die im Text dargestellte gesellschaftliche Problematik von Macht in den Beziehungen verliert durch den strikten Blick zurück an Aktualität. Das Publikum kann sich – in Abgrenzung zu den 70er Jahren – stets auf der sicheren Seite wähnen, von grundlegenden Schieflagen im Geschlechterverhältnis selbst kaum mehr betroffen. Die Ungläubigkeit der opportunistischen Sidonie (Prisca Maier), dass ihre Freundin Petra von Kant tatsächlich selbst die Scheidung eingereicht hat, gerät dabei folgerichtig nahe an eine Comedy-Einlage. Menschen, die eventuell gespannt sind, wie das Stück mit aktuellem Bezug umgesetzt werden könnte, sehen sich daher enttäuscht und bei zusätzlicher Filmkenntnis auch der Gefahr von Langeweile ausgesetzt.
Sebastian Schinkel
Nächste Aufführungen: Fr, Sa + So, 20 Uhr, Lichthof, Mendelssohnstr. 15b
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