Die Vorschau: Dramen am Otsch
■ Susanne Riedel liest heute aus ihrem furiosen ersten Roman „Kains Töchter“
Wenn JournalistInnen Romane schreiben. Die 1959 in Unna geborene Susanne Riedel arbeitete auch lange als Redakteurin des SFB-Jugendradios. Doch sie fegt gleich mit der ersten Seite ihres Romandebüts „Kains Töchter“ jegliche Skepsis weg. Sie erzählt die Geschichte von Joa, von ihrer Familie und von der Landschaft, in der sie aufwuchs – die bergige Gegend am Ufer des Flusses Otsch. Gespräche mit ihrem Mann Elijah bilden den Rahmen der Erzählung, die sie zurückführt in die eigene Kindheit und Jugend. Da war nicht alles eitel Sonnenschein, auch wenn von retrospektiver Weinerlichkeit bei Riedels Ich-Erzählerin nichts zu spüren ist. Es gelingt der Autorin, uns sehr nah an das Leben der jetzt vielleicht Vierzigjährigen heranzuführen, besser: uns darauf zu stoßen, bis wir Lesenden aufgesogen werden. Joa braucht die Schuld, „eine Wunde, die nicht richtig heilt. Es ist, als würde ich mich mit spitzen Gegenständen schneiden, bis die Haut aufplatzt und hervorkommt, was darunter ist: die Wirklichkeit, sauber.“
Obwohl die Erzählerin räumlich und lebensweltlich von den wenigen noch lebenden Familienangehörigen getrennt ist, bleibt sie doch verwoben mit ihr. „Es war ein ganzes, falsches Leben. Alles stand irgendwie an den Rändern über. Warum unser Leben so geschehen ist? Einfach so.“ Die Geburt der Schwester Timpie Leghorn – Rosemary's Baby! – die harte Großmutter, das traurige Schicksal von Onkel Zack und der Tod der Mutter. Die ertrank im Fluss Otsch, der sich leitmotivisch durch Tal und Roman schlängelt. Es geht um konkurrierende Erinnerungen, um Alternativgeschichten und darum, wie sehr Gedächtnis über Emotionen funktioniert, viel mehr als über Begriffe.
„Kains Töchter“ ist auch ein Roman über Sprache und Sprachlosigkeit. Wie ein undurchschaubares Dickicht verbinden sich Natur und Menschen. Organische Metaphorik gerade bezüglich der Sprache, die wie Wasser tropft, wie Speichel sich ziehen kann in den endlosen und doch immer anderen Geschichten der Figuren, oder klar ist und „schön, fast wie ein Geheimnis“. Aber auch feucht, kalt und hart wie ein Klumpen Erde.
Das unberechenbare Handeln der Figuren treibt den Text voran, atemlos und wie durch einen Schleier hindurch erzählt. In einer Art magischem Realismus, der an sinnlicher Intensität vielleicht einzigartig ist in den letzten Jahren. Nähe und Distanz, kleine Glücksmomente und lähmender Schrecken wechseln einander ab. „Und in einem gewaltigen Schwung schlugen Wörter über uns zusammen.“ Tim Schomacker
Lesung heute, Freitag, um 20 Uhr in der Stadtwaage, Langenstraße 13.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen