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Wo Bill Clinton Kunst kaufte

Der hochverehrte Führer und Nationalheld Ho Chi Minh ziert noch manches Kunstwerk in Hanoi, doch auch experimentelle Werke junger Künstler werden mit ihren Positionen zur Stadt ausgestellt und von Ausländern gegen US-Dollar erstanden

Eine geblümte Stadtlandschaft hat Bill Clinton in Hanoi erstanden

von ANNA JACOBI

Endlose Menschenschlangen. An einem riesigen Platz die vielleicht größte Installation des Landes. Jeden Tag besuchen hier pietätvoll tausende Vietnamesen das Ho-Chi-Minh-Mausoleum am Ba-Dinh-Platz. Das monumentale Grabmal Ho Chi Minhs hat für Vietnam noch immer große ideologische Bedeutung. Ho Chi Minh, der erste Präsident Vietnams nach dem 2. Weltkrieg, wurde im Vietnamkrieg, der hier der Amerikanische Krieg heißt, zum legendären Freiheitskämpfer des letztlich siegreichen Nordvietnam. Bis heute gilt er als Nationalheld.

Gegen seinen erklärten Willen wurde für die Symbolfigur des Landes ein riesiger Steinklotz gebaut, eines der vier Mausoleen der Welt. Bac Ho (Onkel Ho), wie er von den meisten genannt wird, wollte stattdessen kaum weniger symbolträchtig verbrannt und in drei Keramikurnen in Norden, Zentrum und Süden des schmalen, lang gezogenen Landes aufbewahrt werden.

Doch seit 1975 ist die einbalsamierte Leiche ausgestellt, am selben Platz, an dem Ho Chi Minh 1945 die Unabhängigkeitserklärung verlas. Touristen geben Taschen und Kameras am Eingang des Mausoleums ab und bezahlen etwa fünfzig Pfennig Eintritt. Im eiskalten Zentrum des Mausoleums umschreiten Touristen und andächtige Vietnamesen Onkel Ho den Glassarkophag, der von vier Soldaten mit geschulterten Gewehren bewacht wird. Der Raum ist schummrig, Spots beleuchten Gesicht und Hände des Toten. Das Ensemble erinnert an eine Massenperformance, ausgedacht von einem verrückten Künstler.

Und in der Tat: Onkel Ho ist eines der beliebtesten Motive Hanoier Maler und häufiger Gegenstand zeitgenössischer Skulpturen. In Natashas Salon, Hanois einziger Galerie für eine experimentelle, junge Künstlerszene, gibt es keine Onkel-Ho-Skulpturen und -Gemälde. Im November zeigte hier der in Hanoi lebende Australier Brian Ring mit Kunst gefüllte Blechkästchen, gefertigt in der Hang Dieu, der Eisenstraße. Brian hat sich von der Hanoier Altstadtarchitektur, den Fensterformen und Häusern, inspirieren lassen, ihre Fotografien verfremdet und zu Drucken, Keramiken und kleinen Skulpturen verarbeitet. Die Ausstellung läuft gut, die kleine Galerie ist fast jeden Nachmittag voll, und verkauft wird auch. In Natashas Salon in der Hang Bong kann man die Nachmittage vertrödeln und verplaudern. Die Hang Bong, die Seidenstraße, ist eine der belebtesten Geschäftsstraßen der Stadt. Jeder, der hier einkauft, schaut einmal bei Natasha vorbei, auch Touristen verschlägt es in die Galerie.

Im Fenster hat Natashas Mann, der Künstler Vu Dan Tan, seinen Arbeitsplatz. Seine aus Blech geschnittenen Skulpturen, Gesichter, Engel, Tiere, seine mit dickem Pinsel gezeichneten Schwarzweißgemälde bilden den nur auf den ersten Blick sehr „folkloristischen“ Eingang der Galerie. Vu lebt seit seinem 13. Lebensjahr in diesem Haus. Heute würde Natasha die Galerie gern erweitern, Arbeitsräume und Archiv schaffen, doch die Wohnungen im Haus sind vermietet, und weg aus der begehrtern Hanoier Innenstadt ist so leicht kein Mieter zu bewegen. Vu ist ein Sammler, und so wird der Salon immer voller. Gerade versperrt ein gigantischer Automotor, den Vu auf irgendeiner Reise in Kunst verwandelt hat, den halben Galerieeingang. Bis zum Frühjahr werden hier Arbeiten junger vietnamesicher Künstler angeboten. Gekauft werden diese ausschließlich von Ausländern. Vietnamesen, so erklärt mir die Galeristin Natasha, kaufen zwar ebenfalls Kunst, allerdings interessieren sie sich für traditionelle vietnamesische Antiquitäten oder für Gemälde, die sich stilistisch an Impressionisten und Jugendstil anlehnen und vietnamische Landschaften und Menschen in farbigen Kitsch verwandeln. Eine geblümte Stadtlandschaft dieser Art hatte auch Bill Clinton bei seinem Vietnambesuch erstanden. In der Galerie Apricot, in der er 29 Minuten verweilte, hängt eine neue Ausfertigung des Werks, für das Clinton 2.900 US-Dollar bezahlte.

Bei Natasha kosten die meisten Arbeiten zwischen 250 und 500 US-Dollar. Für viel weniger Geld, gerechnet wird nach Zentimetern, kann man sich in einer der Malwerkstätten Hanois aber auch jedes beliebige Gemälde kopieren lassen. Hier steht Staffelei an Staffelei, Kunststudenten und ausgelernte Maler fertigen nach Kunstbüchern und -zeitschriften immer gleiche Kopien europäischer Meister. Hier hängt die Mona Lisa in fünf verschiedenen Formaten, auf Bitte bekommt man die passende Signatur dazu.

Gleich um die Ecke wohnt die Bielefelder Künstlerin Veronika Radulovic. Sie lebt seit 1993 in Hanoi. Im Goethe-Institut, ein paar Straßen weiter, werden Fotografien von ihr gezeigt. Sie zeigen das nächtliche Hanoi, eine Stadt, die kaum einer kennt. In Hanoi geht man nämlich um zehn nach Hause, um ein Uhr morgens sind die Straßen fast unbelebt. Beim Fotografieren der Fassade der Disko Apocalyse hatte die Fotografin Schwierigkeiten: Trotz aller Öffnung will Vietnam so neonfarben nicht gezeigt werden.

In einem Nebenraum des Instituts ist eine weitere Ausstellung zu sehen: Zehn junge Hanoier Maler zeigen auf 1,50 mal 2,50 Meter großen Stelen, doppelseitig bemalt, Positionen zu ihrer Stadt. Eine blutrote Figur des Zeichners Le Quang Ha, mit einem – funktionierenden – Radio als Herz. Buddhafiguren, eingekreist von unleserlichen Schriftzeichen von Nyugen Quang Huy. Und Frauengesichter, immer auch ihrem Maler Nguyen Minh Thanh ähnlich, von Vorhängen verhüllt. Die Arbeiten sollen – ungewöhnlich für das sozialistische Land – am Ende der Ausstellung versteigert werden. Es wird eine der ersten Kunstversteigerung in der neueren Geschichte Vietnams. Die verkauften Arbeiten bringen um die 500 US-Dollar. Für den Künstler genug, um gut einen Monat davon leben zu können.

Gerechnet wird in der Stadt vor allem bei größeren Summen in Dollar, der vietnamesische Dong ist eher etwas für die kleinen Rechnungen. Verwundern kann das nicht, ist doch schon ein einziger Dollar 14.000 Dong wert, und eine Restaurantrechnung geht schnell mal in die Hunderttausende. Selbst der Cyclofahrer, der uns im bequemen Vordersitz zurück zur Wachablösung am Mausoleum radelt, möchte lieber zwei US-Dollar bekommen als die von uns gebotenen Dongs, die mit einem hübschen Bild Ho Chi Minhs auf jeder Note verziert sind.

Den Katalog „Gap Viêt Nam“ zu vietnamesischer Kunst gibt es im im Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Derzeitige Veranstaltung: Translated Acts. Körper und Performance. Kunst aus Ostasien

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