: Die weißen Flächen der Moderne
Von der Geburt der bürgerlichen Tragödie aus dem Geist des Ehestreits: Der Regisseur Felix Prader inszeniert nach seinem Schaubühnen-Erfolg „Kunst“ nun Yasmina Rezas neues Stück „Drei mal Leben“ – am Renaissance-Theater
Als Peter Steins Ex-Regieassistent Felix Prader vor knapp vier Jahren an der Schaubühne Yasmina Rezas „Kunst“ inszenierte, war das zwar ein Riesenerfolg, aber irgendwie auch der Anfang vom Ende der alten Schaubühne. Deren fein ziselierte Schauspielkunst war auf dem Boulevard angekommen, die Schauspieler auf der Titelseite der B.Z. Inzwischen spielen sie im Renaissance-Theater ihren Renner weiter. Zuweilen sieht man sie noch im Restaurant „Ciao Ciao“ am Lehniner Platz dinieren, und dabei sehen sie manchmal wie eine Exilregierung aus, die ihre Rückkehr plant.
Am Wochenende nun hat Felix Prader am Renaissance-Theater Yasmina Rezas neues Stück inszeniert. Es heißt „Drei mal Leben“ und liefert drei Spielarten einer missglückten Dinnerparty. Die Situation kennt man irgendwie aus der Cognac-Werbung. Unverhofft kommt der Chef mit seiner Frau zu Besuch. Doch Gott sei Dank hat man ein gutes Fläschchen im Haus. Das rettet dann Situation und Abend. Im Fall von Henri und Sonja allerdings hätte nicht mal eine ganze Kiste Cognac den Abend retten können. Womit der Abend auf der Bühne gemeint ist, nicht der im Zuschauerraum. Denn da brach nach anderthalb Stunden der Jubel los, mit minutenlangen „Standing Ovations“.
Die Geschichte? Henri ist Astrophysiker und hat darüber geforscht, ob galaktische Halos aus dunkler Materie flach sind oder nicht. Erfolgs-Ehefrau Sonja sitzt in irgendeinem Aufsichtsrat. Vom Besuch des einflussreichen Kollegen Hubert nebst Gattin Inès verspricht sich Henri nun einen Karrieresprung. Trotzdem hat man mit ihnen erst am nächsten Tag gerechnet. Jetzt sind sie einen Tag früher da. Es ist nichts zu essen im Haus. Der Sohn schreit, weil er nicht schlafen will. Und dann eröffnet Hubert dem Kollegen Henri auch noch, dass ein anderer schneller mit einer Arbeit über Henris Halo-Thema fertig war. Also Abend versaut und Karriere im Eimer.
So sehen heute bürgerliche Tragödien aus. Yasmina Reza kennt sich aus mit den Tragödien der Bürger, aus denen sie süffisante Komödien macht. Zuletzt ließ sie in „Kunst“ eine Männerfreundschaft an einem völlig weißen Ölgemälde scheitern. Für den einen Freund war es Kunst. Für den anderen nur eine weiße Scheiße. Der Freund ist tödlich beleidigt.
Doch das Publikum lachte. Hatte man nicht selbst schon immer gewisse Vorbehalte gegen die moderne Kunst gehabt, die man bloß nicht auszusprechen wagte? Schließlich sitzt der Schock tief, 1914 erst über die gelben Jacken der Futuristen gelacht, nach 1933 dann den Expressionismus für „entartet“ erklärt zu haben. Hinterher war man plötzlich an zwei Weltkriegen schuld, während die Futuristen und die Expressionisten ihrerseits mit weißen Westen dasaßen. So wurde man modern. Aber eben nicht aus Überzeugung.
Auf dem Humus dieser Verunsicherung sind Jasmina Rezas Figuren gewachsen. Diesmal wollen sie es richtig machen, und es geht wieder schief. Bei Henri und Sonja wird schon die Frage, ob das Kind nach dem Zähneputzen noch einen Keks essen darf, zur ehelichen Existenzkrise. Dann kommen Hubert und Inès und bald geht es rund. Hubert, ein asiger Erfolgsmensch, stochert mit Lust in den Schwächen der anderen. Die füllige Gattin leidet, der ebenfalls füllige Henri leidet erst recht. Bloß die alerte Sonja behält die Oberhand.
Die Dialoge laufen wie geschmiert, denn das Stück ist raffiniert geschrieben. Da kann auch ein Regisseur mehr nicht viel verderben. Eine hochkarätige Besetzung ist schon der halbe Erfolg. Und auf die hat Felix Prader mit Susanne von Borsody (Sonja), Udo Samel (Henri), Imogen Kogge (Inès) und Sylvester Groth (Hubert) auch gesetzt. Aber mehr lässt sich über die Regie nicht sagen. Prader hat das Stück wie ein Pingpong-Match einstudiert. Deswegen können die Solitäre nicht leuchten. Denn dazu müsste man unter Oberfläche der Komödie blicken. So leben die Schauspieler aus eigener Kraft, aber jenseits der Komödienmechanik hält sie wenig zusammen. In Reihe zwei hat sich ein Mann sogar ausdauernd auf die Schenkel geklopft.
ESTHER SLEVOGT
Nächste Vorstellungen: heute bis 30. März, jeweils 20.00, Renaissance-Theater, Knesebeckstraße 100, Charlottenburg
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