: Das Wunderkind ist gereift
Dirk Nowitzki ist auf dem besten Weg, ein absoluter NBA-Superstar zu werden. Am Mittwoch trifft er vielleicht zum letzten Mal auf Detlef Schrempf, dem dies als erstem deutschen Basketballer gelang
von MARKUS VÖLKER
Klapperschlange hatte Donnie Nelson schon probiert. Als Ragout. Doch als die Gastgeber eine lebende Schlange auf den Tisch brachten, diese segneten und umgehend zu Filets verhackstückten, wurde es Nelson doch etwas mulmig zumute. Als das Reptil wieder auftauchte, angerichtet in scharfer Sauce, lockerte er vorsorglich den Schlips. Weil Nelson jedoch den chinesischen Gastgebern nicht den Abend verderben wollte und sich selbst nicht den Deal mit dem Basketball-Talent Wang Zhizhi, würgte der Talentspäher der Dallas Mavericks runter, was runterging. An diesem Abend mag er die konventionelle Küche Unterfrankens herbeigesehnt haben, die er in der Heimat von Dirk Nowitzki kennen lernte. Dort musste sich Nelson nicht erst durch ein exotisches Menü essen, um die Gunst des Deutschen zu gewinnen, in Würzburg wurde mit fränkischem Weißwein auf die Zukunft angestoßen.
Das war vor dreieinhalb Jahren, und schnell wurde klar, dass Dirk Nowitzki aus der heimeligen Kleinstadt nach Texas ziehen würde, vom Unteren Katzenbergweg in die North Washington Street, um in Dallas sein Glück zu machen. Donnie Nelson und sein Vater Don, Trainer der Mavericks, hatten einen Narren an dem 19-jährigen blonden Schlaks aus Deutschland gefressen. Hingerissen von der Art seines Basketballspiels, lehnten sie sich weit aus dem Fenster. Zu weit, sagten viele Fans in Dallas.
Schneller noch als Donnie Nelson war Holger Geschwindner. Er entdeckte Nowitzki im Alter von 16 in Würzburg. Geschwindner, 1972 bei den Olympischen Spielen Kapitän der deutschen Basketball-Mannschaft, erkannte das unglaubliche Talent. In Sekundenschnelle reifte in ihm die Erkenntnis, dass der Bursche unter seiner Obhut den Weg ganz nach oben gehen kann. Gemeinsam arbeiteten sie in zusätzlichen Trainingseinheiten an der Technik. In einer Turnhalle nahe Bamberg wurde der Grundstock für die Zeit in Übersee gelegt.
Geschwindner orientierte seinen Protegé schnell aufs amerikanische Basketball. Nowitzki spielte frühzeitig in drei Ligen, um sich an den Rhythmus der National Basketball Association (NBA) anzupassen. „Ein Basketballer braucht mindestens 1.000 Spiele, bevor er in die NBA gehen kann“, sagt Geschwindner. Nowitzki würde verheizt, hieß es darauf in der Bundesliga. Dass es im Land der unbegrenzten Möglichkeiten in der Tat „brutaler und härter zugeht“, hat Nowitzki in seinem ersten Jahr bitter erfahren müssen. Don Nelson machte ihm klar: „Es ist nicht in Ordnung, wenn du schlecht spielst.“ Mitspieler Michael Finley triezte ihn, den Neuling, mit dem Befehl: „Hey Dirk, wo bleibt meine Trinkflasche?“ Andere lästerten über Irk, das deutsche Verteidigungswunder. Weil Nowitzki in der Defense Mängel hat, klauten sie ihm kurzerhand das D aus dem Vornamen. Da halfen auch nicht die Schlagzeilen,die vom „German Wunderkind“ berichteten.
Mittlerweile ist alles in bester Ordnung. Der 2,11 Meter große Forward spielt eine blendende Saison. „Es läuft hervorragend“, sagt Geschwindner. „Im ersten Jahr war ich zu schüchtern, ich war nicht ich selbst, jetzt fühle ich mich wohler in der Umkleide, überall“, sagt Nowitzki. Der Hüne aus Würzburg ist sichtlich gereift. 22,1 Punkte wirft er im Schnitt – und seine Statistiken zeigen stetig nach oben. Er könnte der beste Europäer werden, der je in der NBA Körbe warf. 22,3 Punkte, 1992 von Drazen Petrovic pro Spiel erzielt, sind zu schlagen. Im Januar erzielte er, der durch die US-Medien als „deutscher Schweiger“ geistert, im Spiel gegen Orlando Magic nicht weniger als 38 Punkte und griff sich 17 Rebounds: Bestwerte in seiner Karriere. Kurzfristig stand er sogar vor der Wahl ins All-Star Team.
Nowitzki ist der Wandel vom Halt suchenden Bürgersöhnchen zum selbstbewussten Medienprofi, zum Charming Boy unfallfrei gelungen. Er trifft nicht nur auf dem Spielfeld gute Entscheidungen, auch auf Pressekonferenzen findet er die richtigen Worte. Seine Metamorphose bezeichnet die New York Times als „The Americanization of Dirk Nowitzki“. Dabei bleibt ihm von der amerikanischen Lebensart nicht viel. „Ich genieße nicht den American Way of Life, ich führe ein NBA-Leben“, sagt er. Das besteht aus mindestens 82 Spielen pro Saison. Aus Vielfliegerei. Training. Spielen. Schlafen. Dazwischen bläst er mal schnell in sein Saxophon, schlägt ein Buch auf oder geht auf einen alkoholfreien Drink mit seinem Kumpel Steve Nash, Aufbauspieler der Mavericks. „Dirk ist ein fantastischer Spieler und ein toller Kerl“, sagt Nash. „Er ist so talentiert, auch physisch stark, das wird immer vergessen.“
Nowitzki hat gelernt, die Ellenbogen auszufahren. Detlef Schrempf, deutscher NBA-Veteran und am Mittwoch mit seinen Portland TrailBlazers Gegner von Nowitzki, findet das okay: „Wenn ich am Anfang egoistischer gewesen wäre, hätte ich vielleicht erfolgreicher sein können.“ Nowitzki ernährt sich nach Diätplan, geht regelmäßig in den Kraftraum, und manchmal spielt er aus Spaß mit Mark Cuban eins gegen eins auf den Korb. „Wir lieben Mark alle sehr“, sagt er über den Mann, dem die Dallas Mavericks gehören. Mit Cuban, 42, kam der Erfolg, eine volle Reunion-Arena und die Aussicht auf die Playoff-Teilnahme. Cuban kaufte den Klub vor zwei Jahren. Er hat Milliarden in der Dotcom-Branche gemacht.
Cuban verwöhnt die Profis, doch nur, um die Ausrede zu torpedieren, man habe verloren, weil es an irgendetwas gefehlt habe. Die Umkleidekabine der Mavericks gleicht einem Multimedia-Center, in der vereinseigenen Boeing 757 wird alles geboten, was die Basketballer fit macht fürs nächste Spiel. Demnächst erhält jeder Spieler seine eigene Luxus-Duschkabine. Am Rande des Spielfelds tobt Cuban wie der Leibhaftige, attackiert die Schiedsrichter und stachelt so sein Team an. „Seit er da ist, hat sich alles zum Positiven gedreht“, sagt Nowitzki.
Es wird viel über Nowitzkis neuen Vertrag spekuliert, der spätestens im Sommer 2002 unterschrieben wird. Cuban hat Geld im Überfluss. Ein Kontrakt in dreistelliger Millionenhöhe, der über mehrere Jahre läuft, ist nicht unwahrscheinlich. Nowitzki möchte sich noch nicht damit auseinander setzen. „Man weiß nie, was kommt. Das ist noch so weit weg.“ Sportlich lässt ihn die Zukunft freilich nicht los. Jede Sekunde seines Basketball-Lebens verbringt er mit dem Vorsatz, besser zu werden. „Ich bin erst 22“, sagt Dirk Nowitzki. „Mein Potenzial ist noch längst nicht ausgeschöpft.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen