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„Die goldenen Jahre sind vorbei“

Parteienforscher Joachim Raschke zu den Niederlagen der Grünen: „Sie zahlen die Rechnung dafür, dass sie zwei Jahre schlecht regiert haben.“ Kurzfristig könne die Partei nichts ändern – außer Trittin zu feuern

taz: Möchten Sie heute gerne Chef der Grünen sein?

Joachim Raschke: Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich gerne von diesem Job verschont bleiben.

Spielen Sie trotzdem mal den grünen Parteivorsitzenden: Wie würden Sie die beiden herben Wahlniederlagen Ihrer Partei erklären?

Ich würde sagen, dass die Niederlagen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz bitter, aber nicht überraschend sind. Die Grünen sind auf ihr Normalmaß zurechtgestutzt worden. Die jetzigen Ergebnisse drücken ihre reale Größe aus. Die 12 Prozent in Baden-Württemberg vor fünf Jahren haben die Grünen errungen, als die SPD in ihrer tiefsten Krise war.

Das war jetzt die brave Erklärung des Parteichefs. Die reicht kaum aus.

Die Grünen verlieren immer im bezug auf ihren goldenen Jahre. Jetzt sind für die Partei die schlechten Jahre angebrochen. Das ist kein Schönreden von Niederlagen, sondern eine realistische Einschätzung der Stärke der Partei.

Aber die Grünen müssen sich schon mehr Sorgen machen, oder?

Ja. Sie müssen sich fragen, was beim Regieren falsch läuft. Die Zweifel, dass die Grünen eine gute Regierungspartei sind, haben sie bis heute nicht ausräumen können. Diese Schwäche ist durch die guten Ansätze der neuen Parteiführung in kurzen Zeiträumen nicht zu überspielen. Das ist eine bittere Lektion für Fritz Kuhn: Das Umsteuern der Grünen hat gerade erst begonnen.

Wann schlägt das positiv zu Buche? In zwei Jahren? In vier?

Die Grünen sind eine kleine Partei, sie haben eine Wählerschaft, die hoch gebildet und sehr skeptisch ist – diese Wähler reagieren nicht sofort, wenn eine Ministerin wie Renate Künast mal vier Wochen gut in den Umfragen liegt. Das dauert seine Zeit.

Trotzdem ist das nur schwer zu verstehen: Alle reden wieder von Ökologie, es gibt eine BSE-Krise, die Grünen haben populäre Minister, eine professionelle Parteiführung, und trotzdem verlieren sie bei jeder Wahl.

Die Grünen bekommen im Moment nur ihre Kernwählerschaft an die Urnen, und auch die nur mit Mühe. Sie zahlen die Rechnung dafür, dass sie zwei Jahre lang schlecht regiert haben. Von ihnen als Regierungspartei geht einfach keine Attraktivität aus.

Aber was können die Grünen noch anders machen?

Inhaltlich können sie nichts verändern. Die Rückbesinnung auf die Ökologie, die Konzentration auf den Verbraucherschutz sind richtig. Das könnte der Partei auf lange Sicht helfen. Dazu muss sie aber auch in anderen Fragen ein klares, eindeutiges Bild abgeben. Man kann nicht mit Schwarz-Grün liebäugeln und die CDU gleichzeitig beschimpfen, wie Jürgen Trittin es getan hat.

Taugt Trittin als Sündenbock für die schlechten Wahlergebnisse der Grünen?

Sein Anteil an der Niederlage ist schwer messbar, aber dass er daran einen Anteil hat, ist nicht zu bezweifeln. Trittin hat mit seinem Angriff auf Laurenz Meyer die müde CDU-Wählerschaft mobilisiert. Das hat sich indirekt natürlich auch auf das Wahlergebnis der Grünen ausgewirkt.

Auch an Sie die Frage der Woche: Sollten die Grünen Trittin als Minister opfern?

Ja. Trittin hat in den letzten Wochen eine Reihe von Fehlleistungen hingelegt: die Buback-Äußerung, die Beschimpfung der Castor-Gegner, der Angriff auf den CDU-Generalsekretär. Er schadet den Grünen nur noch, er kann für die Partei nichts mehr bewirken. Trittin fällt durch alles Mögliche auf, nur nicht durch eine überzeugende Umweltpolitik.

Mal angenommen, die Grünen würden auf Sie hören und Trittin in die Wüste schicken. Damit dürften sie kaum Wahlen gewinnen. Und dann? Beten?

Es gibt kurzfristig nichts, was die Partei anders machen könnte – außer der Personalie Trittin. Hier könnten die Grünen zeigen, dass sie auf Niederlagen reagieren und nicht nur an strukturellen Veränderungen emsig arbeiten. Es bringt auch Wählerstimmen, wenn eine Partei öffentlich einen Fehler eingesteht und daraus die Konsequenzen zieht. Die Grünen müssen abwägen: Riskieren sie einen offenen Strömungsstreit, der in der Partei bei Trittins Entlassung vermutlich ausbrechen würde, oder wollen sie in der Öffentlichkeit in der Defensive bleiben? Aus der kommen sie nicht mehr heraus, wenn sie an Trittin festhalten.

Sie kennen die Partei gut. Wofür wird sie sich entscheiden?

Ich fürchte, ihr kommt es vor allem darauf an, den Strömungskonflikt vermeiden zu wollen. Dabei ist die Partei selbst gar nicht mehr überzeugt davon, dass Jürgen Trittin die richtige, geschweige denn die ideale Besetzung für den Posten des Umweltministers ist.

Es gibt noch Aspekte, über die sich die Grünen freuen können. Sie haben bei den über 60-Jährigen dazugewonnen.

Die Treue der Alten ist ein Faustpfand für die Parteien.

Die Grünen werden sich bedanken. Das ist doch nicht ihre Zukunft.

Natürlich nicht. Die jungen Wähler sind die Zukunft der Grünen. Und da sieht es für die Partei desaströs aus. Aber die Jungen sind für die Grünen nicht grundsätzlich verloren. Sie reagieren nur extrem stark auf das Verlierer-Image, das der Partei inzwischen anhaftet. Die Grünen ziehen einfach keine jungen Leute mehr an. Ute Vogt in Baden-Württemberg – die war attraktiv. Die hat den Grünen vorgemacht, wie man junge Wähler gewinnt. Durch ein frisches, fröhliches Image. Die Grünen hingegen sind völlig ergraut.

Wie viel Jahre geben Sie den Grünen noch?

Die Partei ist nicht vom plötzlichen Aussterben bedroht, sondern eher von der Gefahr einer länger anhaltenden Auszehrung.

Also ein Sterben auf Raten.

Auch das Ergrauen ist eine Vorstufe des Todes. INTERVIEW: JENS KÖNIG

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