: Politik und Pubertät
Die Politiker blieben der „Diagonale 2001 – Forum österreichischer Film“ fern, doch das Publikum drängte sich in die oft ausverkauften Vorstellungen
von BRIGITTE WERNEBURG
„Just as every cop is a criminal ...“ Rolling Stones, „Sympathy For The Devil“
Zwei Anzüge habe er sich gekauft und „dazu ganz ordentlich in steirischen Zweigelt investiert“, gestand Berlinale-Chef Dieter Kosslick in einem Zeitungsgespräch. Doch er war nicht wegen Wein und Klamotten nach Graz gekommen, sondern wegen der „Diagonale“, dem jährlichen Festival des österreichischen Films. Aber man kann seine konsumerischen Abwege gut nachvollziehen. Graz ist eine reiche, schöne Stadt, voll gediegener Geschäfte, in denen sich hervorragend und entsprechend teuer einkaufen lässt.
Es macht dann auch den besonderen Reiz der „Diagonale“ aus, wie sie in dieser gutbürgerlichen Atmosphäre keineswegs unelegant den Stachel der politischen Intervention zu setzen weiss. Gleich zur Eröffnung der Diagonale 2001 in der Grazer Oper kritisierten die Festivalleiter Christine Dollhofer und Constantin Wulff eine Kulturpolitik „der unüberlegten Maßnahmen“ und „fragwürdigen Entscheidungen“ und kamen einmal mehr auf jenen „Landeshauptmann“ zu sprechen, der sich vor Wochen unter Anspielung auf den Markennamen Ariel gewundert hatte, wie der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Ariel Muzicant, „so viel Dreck am Stecken“ haben könne. Kein „Code Inconnu“, dass es um Haider ging, dessen Rücktritt hier ein weiteres Mal gefordert wurde. Der Regisseur des Eröffnungsfilms, Michael Haneke, widmete denn auch „Code Inconnu“ all jenen Haider-Kritikern, die mit dem befremdlichen Begriff „Gutmenschen“ belegt und lächerlich gemacht wurden.
Freilich, die Woche vom 19. bis zum 25. März war nicht nur die Woche der Wahl des Großen Diagonale Preises für den besten österreichischen Kinofilm des Jahres 2000/2001, sondern auch die letzte Woche im Wiener Kommunalwahlkampf. Am Samstagabend stand dann der Diagonale-Sieger fest: Florian Flicker („Suzie Washington“) erhielt den mit rund 30.000 Mark dotierten Preis für „Der Überfall“ – der Kulturlandesrat freilich blieb der Preisverleihung fern. Die Jury befand, dass „das Schauspiel in seiner Gratwanderung zwischen Komödiantischem, Tragischem und Groteskem“ überzeugte. Das lässt sich vielleicht auch über die Wiener Kommunalwahl sagen. Die gewann am Sonntag die SPÖ, die – dann doch überraschend – die Mandatsmehrheit im Gemeinderat eroberte, während die FPÖ über sieben Prozent verlor. „Passt“ hätte nach so viel glücklicher Fügung der arbeitslose, räuberische Ersttäter aus „Der Überfall“ gesagt, hätte in der Nacht zum Montag auch noch die Hauptdarstellerin von „Code Inconnu“, Juliette Binoche, den Oscar als beste Hauptdarstellerin (in Lasse Hallströms „Chocolat“) gewonnen. Doch da war bekanntlich Julia Roberts davor.
Der Preis für „Innovatives Kino“ ging erneut an das Kollektiv von „Die Kunst der Stunde ist Widerstand“. Unter diesem Titel waren auf der Diagonale 2000 erstmals rund 50 Film- und Videoarbeiten über die veränderte politische Situation in Österreich seit dem Zustandekommen der ÖVP/FPÖ-Regierung im vorangegangenen Februar gezeigt – und schließlich preisgekrönt – worden. Jetzt hatten die Mitglieder des Kollektivs einen Film von rund eineinhalb Stunden kompiliert, der sich durch seine konzentrierten und reflektierten Beiträge auszeichnete, die ihr Material gleichwohl roh und direkt auf die Leinwand brachten. Wie in dem anonym eingereichten Video über eine Demonstration gegen Polizeigewalt in Wien. Es zeigt, wie die Polizei einen ihrer berühmten Kessel bildet und die Demonstranten, die mit dem Rücken zum Schaufenster des Luxusmodengeschäfts Emmanuel Ungaro stehen, immer mehr zusammendrängt – wohl in der Hoffnung, dass die Glasscheibe dem Druck nicht standhält und ihr Zerbersten dann den Demonstranten angehängt werden könnte. Worauf man erst recht Grund hätte, auf die Demonstranten loszugehen. Man muss Joschka Fischer nicht mögen, aber nach diesem – neuerlichen – Anschauungsmaterial darüber, wie die Polizei agiert, muss man ihn und seine Putztruppe noch im Nachhinein beglückwünschen.
Politik war das eine, Pubertät das andere Drama. Im Kurzfilmprogramm 2 beispielsweise überzeugte die Liebesgeschichte, die Markus Mörth, Grazer Filmhochschulstudent in München, unter dem Titel „Matchball“ erzählte. Auch Mädchen kann es in schwierigen Lebenslagen helfen, ein bisschen zu kicken. Und wenn dann die ältere Freundin auch mit dem Ball umgehen kann, weil sie in ihrer Jugend ebenfalls im Verein trainiert hat, dann lösen sich die Probleme sogar richtig. Neben der starken Hauptdarstellerin Camilla Renschke ist es die Sensibilität der Beobachtung, mit der „Matchball“ bestach. Nicht münchnerisch leise und kurz, sondern berlinerisch laut, lang und direkt, nach Aymans Sommerhit des Jahres 2000 „Mein Stern“ benannt, erzählt Valeska Grisebach von der ersten Romanze. Sie passiert in der Zeit, in der die Mädchen groß und ungeschlacht, aber auch reizend anzuschauen sind, während die Jungs dünn, picklig und unsexy daherkommen. Die Probleme sind also nicht überraschend, wohl aber die starke Präsenz der Laiendarsteller, mit denen Grisebach arbeitete. Ganz schlecht können aber die Zeiten der Pubertät und Postpubertät, der Politik und des Kinos nicht sein, wenn in „Ternitz Tennessee“, dem Debütfilm der Radiomoderatorin Mirjam Unger, die Kfz-Mechanikerin Lilly (Nina Proll) auf die Anmache „Hallo! Sillicon Wally“ im Kontext völlig korrekt antwortet: „Ah, geh, Micro Soft.“
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