piwik no script img

Rocker, Rastas, Friedensfreunde

Der Widerstand im Wendland ist nicht uniform wie die Staatsmacht. Er hat viele Gesichter. Ein Streifzug durch die Menge der Anti-Castor-Demonstranten

aus dem WendlandTHOMAS GERLACH und NICK REIMER

Unser Mann trägt Helm, Bart, Sonnenbrille und nennt sich Hektor. „Wir sind kein Verein oder so, eher ein loser Haufen.“ Mit 100 Sachen gegen den Castor – der „lose Haufen“ ist die Motorradgang „Idas“, benannt nach dem Sohn des Poseidon, der den Castor einst im Kampf erschlug. In diesen Tagen fahren die Biker als Kuriere durchs Wendland. „Mal gilt es, Leute zu transportieren, mal einen Einsatzplan“, sagt Hektor, dem man anmerkt, das er lieber fährt als redet. Seit 1995 gibt es die Motorradgang, die „eine Palette vom Lebenskünstler bis zum Akademiker abdeckt“. Bundesweit natürlich. Hektor lässt sein Maschine heulen. Sorry, er müsse jetzt weiter.

„Wenn das Wendland ruft, lassen sich viele mobilisieren“, sagt Reimar Paul, Autor und Chronist der Antiatombewegung. Natürlich sei der Protest auch Happening und Selbstzweck. „Man sieht sich mal wieder. Und stellt dann fest, dass man zwar älter, das Problem aber noch genauso jung ist.“

Im Camp des bundesweiten Netzwerks „X-tausendmal quer“ geht es höchst demokratisch zu: So genannte Bezugsgruppen wählen eine Sprecherin oder einen Sprecher, der dann allmorgendlich im Rat Bedürfnisse formuliert und Entscheidungen trifft. Überwiegend junge Leute prägen das Camp bei Wendisch Evern. Das Schuhwerk verrät, dass der Träger schon etliches an Höhenluft geatmet hat, die Goretex-Jacke, dass man es nicht mit „Schönwetterpaddlern“ zu tun hat. „Ich muss Donnerstag in Halle zum Seminar sein“, sagt eine 21-jährige Studentin, die ihren Protest gegen den Castor als Bürgerpflicht bezeichnet, „schon wegen der Kinder, die ich mal haben möchte“. Das Camp ist genauso gut organisiert wie die Aktionen. Die Kommunikation der etwa 1.500 Quersteller funktioniert via SMS. „Sämtliche Versammlungen im Umkreis von 5 Kilometern von der Castorstrecke wurden verboten“, sagt „X-tausendmal quer“-Sprecher Sören Janßen. Man sei also genötigt worden, gesetzwidrig zu handeln. „Bei uns wird es definitiv nur gewaltfreien Widerstand geben“, hatte Janßen vor den Gleisblockaden angekündigt – und die Aktionen bestätigten dies. Anders sah dies auf der Demo vor dem Verladekran am Mittwochabend in Dannenberg aus. Zur Eskalation trug im Wesentlichen die Autonomenszene bei, die aus ganz Deutschland angereist ist. Leuchtspurmunition und Prügelsehnsucht – denen geht es schlicht um Krawall. Da kann die Mehrheit der Demonstranten noch so laut „Keine Gewalt!“ rufen – das lässt sich nun mal nicht so telegen transportieren wie Rabatz.

Ganz anders Sabine und Carsten. Um den Hals tragen sie Tücher in der Farbe des Friedens: Lila. Die Tücher sind neu, ihre Botschaft ist es nicht: „Umkehr zum Leben – entschlossen friedlich demonstrieren.“ Friedensbewegung, Kirchentag, Nachrüstungsbeschluss – fast zwanzig Jahre her. „Die haben hier so tolle Lieder!“ Sabine hat einen Zettel rausgekramt. „Hier, lies mal: Wir wollen keinen Atomstrom . . . Nach der Melodie von ‚Hewenu Schalom alechem‘.“ Der Friede hat für sie immer eine Melodie. „Wir dachten, wir könnten damit die Situation entschärfen. War aber nichts.“ Ihr Freund Carsten nickt. „Da drüben, die jungen Polizisten sind doch völlig überfordert.“ Sie wollen bleiben, wenn es sein muss, die ganze Nacht. Carsten hat Urlaub genommen; sie gehen langsam durch die Menge, reden mit Polizisten. Pazifisten sind leise, nicht mehr ganz jung und immer im Dienst.

Die Sozialisten tricksen: Die PDS hat die Lufthoheit, ihre Nylonfahnen wehen auch bei Windstille. Die PDS ist die einzige Partei, die hier noch Flagge zeigt. Der rote Bus ist Teil der Blockade. „Jetzt kommen die hierher zum Demonstrieren!“ Ein alter Mann – Hut, Stock, Hund – ist aufgebracht. „Ich bin auch gegen den Scheiß“ – er zeigt mit dem Stock in Richtung Gleis –, „aber vor dem Regime bin ich abgehauen damals. Und jetzt sind die hier.“ Der Bauer war aus der Prignitz geflüchtet, ein DDR-Bürger, der keiner mehr sein wollte. „Ich hab hier schon vor zwanzig Jahren demonstriert, ich bin aus Hannover!“, sagt der Rotschopf aus dem Bus. Die PDS kommt aus Hannover, ihr Gegner aus dem Osten. Verkehrte Welt. Hände in den Taschen und Zigarette geraucht. Trecker auf die Kreuzung und gucken, was passiert. Als ob die Bauern den Zugereisten sagen wollen: „Wir sin all hier! Nu macht mal. Wir halten euch schon den Rücken frei.“ Skandieren, Fäuste nach oben, Megafone – Fehlanzeige. Bauern haben die Fäuste in der Tasche. Und das verschafft ordentlich Respekt. Der Protest hat viele Slogans: „Gorleben – Seattle – We continue the battle!“, skandieren die Globalisierungsgegner. „BRD – Bullenstaat, wir haben dich zum Kotzen satt!“, rufen die Schüler, die die Kreuzung besetzen. Manche schreien einfach: „Hertha, Hertha, Hertha BSC!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen