piwik no script img

Lernt von Europas Besten

Vier Spiele, vier Siege. Völlers Burschen überrollen in der WM-Qualifikation den Kontinent. Wie werde ich das tollste Fußballteam zwischen Nordkap und Gibraltar? Eine taz-Gebrauchsanweisung

von FRANK KETTERERund MARKUS VÖLKER

1. Berufe einen ironiefreien Teamchef: Unbedingt zu beachten ist, dass es sich bei der auserwählten Person um einen ehemaligen Nationalspieler handelt, am besten mit eingebautem Kultstatus. Das ist wichtig für die Öffentlichkeit und die Fans. Der Kult kommt immer dann zum Tragen, wenn ein Spiel mal nicht ganz so glänzend läuft, was jedem Teamchef passieren kann, selbst unserem. Wir Deutschen haben es bei der Auswahl des Teamchefs zugegebenermaßen einfacher als andere Nationen, weil wir eben ein großes Fußball-land sind mit viel Tradition – und noch mehr kultigen Nationalspielern. Franz Beckenbauer zum Beispiel, für den das Amt des Teamchefs sogar eigens erfunden wurde, ist so einer. Jetzt haben wir Rudi, der natürlich auch Kult ist, weil er so viel Tore für Deutschland geschossen hat und immer ehrlich ist. Früher haben wir Rudi „Tante Käthe“ genannt wegen seiner Pudelfrisur. Das war lieb gemeint. Heute rufen wir ihn „Rudi Riese“, obwohl er die Pudelfrisur immer noch trägt. Aber seine Taten haben ihn ganz groß gemacht. Rudi kennt sich aus im Fußball, was man schon daran erkennt, dass er so wunderbare Sätze spricht wie den nach unserem tollen 4:2-Sieg gegen Griechenland: „Wir haben wieder eine Mannschaft, und damit meine ich nicht nur die erste Elf, sondern das gesamte Aufgebot.“ Ja, genauso müssen Teamchefs reden, damit sie von allen verstanden werden. Das ist natürlich strengstens zu berücksichtigen.

2. Arbeite mit Psychopillen aus der Hausapotheke: Fußballer sind sehr sensibel, das muss vom Teamchef unbedingt beachtet werden. Rudi macht das sehr vorbildlich, wie gerade eben, vor unserem glorreichen 4:2-Sieg über Griechenland, zu sehen war. Da hatte es nämlich Kritik gegeben – und zwar am 2:1-Sieg über Albanien. Nicht schön genug gespielt hatten die Unsrigen, was immer mal wieder vorkommt, aber natürlich nicht weiter tragisch ist, so lange nur gewonnen wird. Hat auch Rudi gesagt, und kurzfristig wegen grassierenden Seelenleids entgegen Grundregel 7 alle Zeitungen von unseren Nationalspielern ferngehalten, damit die daraus nicht erfahren, wie schlecht sie wirklich gespielt hatten. Dafür hat Rudi mit ihnen geredet, immer und immer wieder, allein und in der Gruppe, so wie in der Therapie. Und er hat ihnen Mut ein-, und die Angst ausgeredet. Das bringt immer Erfolg.

3. Bewache die nationalen Tugenden: Auch hier sind wir gegenüber anderen Nationen naturgemäß im Vorteil, weil es die einzig echten „deutschen Tugenden“ nur bei uns gibt. Mag sein, dass sich andere Nationen mehr Gedanken machen über Dinge wie Viererkette, Raumaufteilung und solchen Kram, aber alldem kann man mit echten deutschen Tugend leicht begegnen. Rennen, kämpfen, grätschen, auf die Zähne beißen – so geht Fußball. Oder warum sonst haben die ballverliebten Brasilianer soeben ihr WM-Qualifikationsspiel gegen Ecuador mit 0:1 verloren? Richtig: Weil sie der brotlosen Schönspielerei frönen und keine deutschen Tugenden besitzen, aber auch gar keine.

4. Schick schwache Kapitäne von Bord: Damit das Boot nicht durch kriselnde Balltreter Schieflage bekommt, muss der Seuchenherd auf der Bank inkubieren und darf keinesfalls auf dem Rasen die Mitspieler mit dem Virus des Versagens infizieren. Selbst vor verdienten BWL-Studenten und anerkannten Werbeträgern darf der Teamchef in diesem Fall nicht Halt machen, vielmehr muss er die Binde unter empathischem Gesäusel dem Spieler vom Oberarm reißen und an den Torwart übergeben.

5. Lass den Gegner im Glauben der Überlegenheit: Geschickt eingestreute Fehlpässe und Stolperer geben dem Gegenüber das Gefühl, Deutschlands Kicker besiegen zu können. Ein tragischer Trugschluss. Denn wie die sich verzettelnden Griechen in der zweiten Halbzeit erkennen mussten, schlägt der Stollenteutone unerbittlich effizient zu und nutzt jeden kleinen Anflug von Größenwahn. Ist er überdies waidwund geschossen durch einen Feldverweis, beginnt er zu rasen und macht in den letzten Minuten immer ein Tor.

6. Halte Maß bei Veränderungen: Neben den deutschen Tugenden ist unbedingt auf das Bewahren der Tradition zu achten. Was automatisch bedingt, dass der Teamchef eher betagtere Spieler zum Einsatz kommen lässt, die dann all ihre Erfahrung in die Waagschale werfen können. All zu junge Spieler nämlich neigen zu Übermut, und der, sagt ein deutsches Sprichwort, tut selten gut. Wie bei unserem tollen 4:2-Sieg leider auch zu sehen war, nämlich in Minute 59, als der 21-jährige Sebastian Deisler ungestüm einen Griechen umsäbelte. „Die gelb-rote Karte ist seinem jugendlichen Leichtsinn zuzuschreiben“, kritisierte später unser Rudi, der aber auch weiß, dass ein Teamchef unbedingt auch ein paar junge Spieler bringen muss, weil sonst die Presse wieder böse wird und schreibt, dass der Nachwuchs im Land am Boden liege. Mit Deisler und Michael Ballack (24) sowie später mit Miroslav Klose (22) war dem Jugendwahn aber bei weitem genüge getan. Als Jocker hat Rudi übrigens immer noch Mehmet Scholl in der Hinterhand: Der ist zwar schon 30, sieht aber immer noch aus wie 22.

7. Gib den Spielern Zeitungen in die Hand: Der zwölfte Mann ist nicht mehr der Zuschauer. Die Presse sorgt für Überzahl im gegnerischen Strafraum. Blätter, die den Nationalstolz der Leser auf Heißluftballongröße blähen, sorgen für listige Lamenti nach Niederlagen. Die Schelte mit den fiesen und fetten Schlagzeilen machen den Spielern ein furchtbar schlechtes Gewissen. Nach der Lektüre rennen sie schneller, schießen strammer und sind wieder vom Sendungsbewusstsein erfüllt, Deutscher zu sein.

8. Verwalte Probleme im „Ausschuss Nationalmannschaft“: Wenn eine mit Masterminds angerichtete Task Farce ihr Werk getan hat („Erfüllung vordringlichster Aufgaben“), muss ein neues Gremium gebildet werden. Das wendet das positive Bild der Nationalelf zum Positiveren. Chef der Hauptverwaltung Abklärung muss wie der Teamchef ein ehemaliger Nationalspieler sein. Zum Beispiel Karl-Heinz Rummenigge. Das Gremium ist von enormer Wichtigkeit, um dem Rudi den Rücken frei zu halten oder wenn nötig in diesen zu stechen. Es werden Briefköpfe gedruckt und Pressekonferenzen veranstaltet, und andere wichtige Fußballpersönlichkeiten verkünden: „Wir haben Dinge auf den Weg gebracht und sollten die Maßnahmen nun begleiten.“ Genau. So wird was draus. Aus jedem Team.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen