: Die dumme, dumme Affäre
Ein einziges Thema beherrschte die 20. Tutzinger Medientage: Die Pleiten bei der Berichterstattung über Rechtsextremismus im Fernsehen – und wie ein zweiter Fall „Sebnitz“ verhindert werden könnte
aus Tutzing ANIA MAURUSCHAT
„In Sebnitz haben wir alle nach dem Prinzip D-S-R gehandelt: Drehen, senden, recherchieren.“ Ziemlich unvermittelt platzte dieses Bekenntnis des stellvertretenden RTL-Chefredakteurs Achim Tirocke in die Kuschelrunde auf den Tutzinger Medientagen. Gerade als ARD, ZDF und RTL sich gegenseitig bauchpinselten und ihr tolles Engagement in Sachen Rechtsextremismus lobten.
Sebnitz, das war eine dumme, einmalige Affäre. Am liebsten hätten die Verantwortlichen damit wohl den Fall, dass letzten November von den gesamten Medien ohne gesicherte Beweise quasi ein ganzes Dorf des rassistischen Mordes an dem sechsjährigen Joseph beschuldigt wurde, abgetan. Genau darauf zielten aber die Vorträge zum Thema „Rechtsextremismus – wie reagiert des Fernsehen?“.
Leider ist die Lehre erschreckend simpel: Wäre es nicht erst im Sommerloch 2000, nach dem Düsseldorfer Bombenanschlag, zu der riesigen Medienkampagne mit all ihren Sondersendungen und gut gemeinten Initiativen gekommen, sondern stattdessen die gesamten Neunzigerjahre kontinuierlich über die alltägliche rechte Gewalt berichtet worden – dann hätten die Medien längst gelernt, professionell mit dem Thema umzugehen.
Zwar betonte Siegfried Weischenberg, Kommunikationswissenschaftler und Vorsitzender des Deutschen Journalisten Verbandes, dass „die Medien nicht der Reperaturbetrieb der Gesellschaft“ seien. Zugleich stellte er aber auch nur gnädig fest, dass sie sich „im vergangenen Sommer im Rahmen ihrer Möglichkeiten durchaus Mühe“ gaben. Den Vorwurf des Aktionismus widerlegt das nicht.
Ähnlich argumentierte WDR-Redakteur und Rechtsextremismus-Experte Wolfgang Kapust. Er beklagte vor allem, das jegliches Konzept fehle, wie er bei seiner Untersuchung der im Jahr 2000 gesendeten Features, Reportagen und Dokumentarfilme ab 30 Minuten festgestellt hatte. Darüber hinaus wurden die Beiträge unkoordiniert und zufällig ausgestrahlt.
Und sensationslüstere Titel wie „Nazi-Terror in Deutschland“ und „Tritte ins Gesicht“ verweisen auf das nächste Problem: Das Klischee der brutalen und glatzköpfigen „Dumpfbacken“ mit Springerstiefeln aus dem Osten ist nicht nur ein Problem des Archivmaterials der aktuellen Nachrichten. Verheerend, aber die „ästhetische Komplizenschaft“ ist auch in Hintergrundfilmen evident: Dieser „adrett-martialische Look“ kommt nun einmal auf dem Bildschirm „am geilsten rüber“.
Das eigentliche Problem, der alltägliche Rechtsradikalismus der geistigen Brandstifter in der Mitte der Gesellschaft, wird hingegen völlig ausgeblendet. Auch erfährt man kaum was über die Finanziers der rechten Szene, die meist im Westen sitzen. Und lange Beiträge über Antisemitismus, die „Neue Rechte“, den internationalen Rechtsextremismus sowie die Opferperspektive und Beispiele für Zivilcourage fehlen fast ganz. Alles nicht nötig, meint Kapust: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Sendeplatz.“
Als Beispiel für mehr Willen nannte Weischenberg den niederländischen Journalistenverband, der schon 1984 die Arbeitsgruppe „Medien und Migraten“ gründete, um dafür zu sorgen, das ausgewogener über Ausländern berichtet wird. Und beim WDR gibt es seit Anfang des Jahres die hauptamtliche Stelle der „Beauftragten für kulturelle Vielfalt“, die sich um die Koordinierung und Nachhaltigkeit des antirassistischen Programms kümmern soll. Wie genau eine bessere Berichterstattung aussehen sollte, ist allerdings schwer zu sagen. Ein Patentrezept gibt es nicht. Die meisten Experten sind sich aber einig, dass die Nachahmungsgefahr auf keinen Fall so schwer wiegt wie die Taten und prinzipiell jede gezeigt werden müsse. Und bei den Trailern, die einige Sender wie Werbespots ins Programm einstreuen, könnte sich sogar der bisher einzige satirische Clip als besonders wirkungsvoll erweisen: Wenn zwei Nazilein resozialisiert werden, in dem ihre festgefrorenen Hitlergrußärme als Masten für die Wäscheleine herhalten müssen, dann könnte das vor allem Jugendliche ein bisschen immuner gegen stolzes Gedankengut machen.
An selbstkritischem Bewusstsein der Macher mangelt es auch hier. Grund, sich auf irgendwelchen Lorbeeren auszuruhen, gibt es also für niemanden. Vorbildlicherweise will darum das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik seine Medientage in zwei Jahren wieder dem Thema Rechtsextremismus und Fernsehen widmen.
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