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Schily wird nachtragend

Bundesinnenminister Otto Schily und die Bahn wollen den Schienenblockierern vom Wendland ans Portemonnaie: Sie sollen für die Kosten aufkommen. Castoren erreichen Gorleben

BERLIN/GORLEBEN taz ■ Für die 16-jährige Marie Steinmann und ihre Freunde, die den Castor-Transport über 14 Stunden auf den Gleisen blockierten, kann der Anti-Atom-Protest noch sehr teuer werden. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) will die Gleisblockierer vom Wendland finanziell zur Rechenschaft ziehen. Das könnte auch Robin Wood und Grenpeace treffen, die Blockaden an der Bahnstrecke im Wendland organisiert hatten.

Schily sagte: „Wer sich gegen Recht und Gesetz stellt, der muss mit den notwendigen Sanktionen rechnen.“ Demonstranten hätten Leuchtmunition verschossen, Autos der Polizei in Brand gesteckt, Schienenwege unterhöhlt und Polizisten angegriffen. Doch nicht nur diejenigen, von denen Sachschaden angerichtet worden sei, sondern „auch die, die dazu angestiftet und die das geplant haben“, sollten nun „diesen Schaden bezahlen“, sagte Schily im Bundestag.

Im ARD-Morgenmagazin beschuldigte der Bundesinnenminister die Umweltschützer von Robin Wood, „verantwortungslos“ gehandelt zu haben, weil sie ein 16-jähriges Mädchen dazu verleitet hätten, sich auf der Strecke einzubetonieren. In die gleiche Kerbe hieb Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) im Bundestag, als er die rhetorische Frage stellte, ob es „mit der Fürsorgepflicht zu vereinbaren ist, 16-Jährige in eine Situation zu bringen, in der deren körperliche Unversehrtheit von Polizisten abhängt“.

An seine eigene Vergangenheit als Blockierer gegen die atomare Aufrüstung erinnert, mochte Schily keinen Vergleich zulassen. Damals sei es schließlich um den „atomaren Untergang“ gegangen. Heute müssten dagegen „völkerrechtliche Verpflichtungen“ eingehalten werden. Trittin zollte friedlichen Demonstranten und der Polizei Respekt, Schily bezog dies nur auf die Polizei. Michaele Hustedt (Grüne) lobte hingegen die Haltung der gewaltfreien Demonstranten gegen die Castor-Transporte: Dass sich Menschen so für eine Sache engagierten, sei für sie „ein Grund, stolz auf die deutsche Demokratie zu sein“.

Auch die Bahn behält sich zivilrechtliche Schritte gegen die Blockierer vor. „Das sind Straftaten und gefährliche Eingriffe in den Bahnverkehr“, sagte ein Bahn-Sprecher. Sie müssten strafrechtlich verfolgt werden. „Wir werden jetzt intern überlegen, ob wir die Demonstranten verklagen und Schadenersatz fordern.“

Bei Robin Wood gibt man sich gelassen. „Wir haben die Schienen nicht beschädigt“, sagte ein Sprecher zur taz. Nur eine einzige Schwelle musste zur Befreiung der Castor-Blockierer von der Polizei gelöst werden. Der Zug sei anschließend über die unterhöhlte Stelle hinweggefahren, so der Sprecher. Die 16-jährige Marie Steinmann, die an den Protesten teilgenommen hatte, ist nach taz-Informationen gesund und wieder zu Hause.

Dank eines Überraschungscoups der Polizei konnte der Castor-Transport gestern nahezu unbehelligt von Demonstranten per Tieflader das atomare Zwischenlager in Gorleben erreichen. Der Transport bewegte sich bereits am frühen Morgen durch das Wendland. Um 8.10 Uhr passierte der letzte der sechs Tieflader das Tor des Zwischenlagers.

Die Atomkraftgegner zogen eine positive Bilanz. Veit Bürger von Greenpeace sagte, die Anti-Atom-Bewegung habe „viel erreicht“. Von Transport und Widerstand gehe das klare Signal in Richtung Berlin aus, „dass die Atomindustrie und die damit verbundenen Transporte gesellschaftspolitisch nicht mehr akzeptiert werden“. Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg schätzte, dass annähernd 15.000 Menschen demonstrierten.

Während des Castor-Transport sind nach unterschiedlichen Angaben zwischen 700 (Polizei) und 1.500 (Bürgerinitiativen) Menschen vorübergehend festgenommen worden. Knapp 120 Personen wurden nach Behördenangaben verhaftet und fast 70 Strafverfahren eingeleitet. Rund 29 Polizeibeamte wurden verletzt, zwei davon schwer. Die Zahl der verletzten Demonstranten wird auf mindestens 60 geschätzt. KLH/SF

brennpunkt SEITE 3, debatte SEITE 11

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