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Tunnelskat im Innovationswettbewerb

■ Bremens Bürgerhäuser konkurrieren jetzt um staatliche Programmmittel. Die neuartige Vergabepraxis hat Gewinner und Verlierer. Ein Streifzug durch die Zentren der Stadtteilkultur

Das Bremer Kulturressort hat noch rund 70.000 Mark Bürgerhaus-Projektgelder vom vorigen Jahr übrig. Damit sei nur ein knappes Drittel der Mittel verbraucht, teilte die Sprecherin der Kulturdeputation, Carmen Emigholz (SPD), jetzt mit. Die acht Nachbarschafts- und Bürgerhäuser in der Vahr, Vegesack, Oslebshausen, Mahndorf, Hemelingen, Obervieland, der östlichen Vorstadt (Weserterrassen) und Gröpelingen (Helene-Kaisen-Haus) gehen unterschiedlich mit einer Neuregelung um, wonach sie nur die Hälfte der Mittel sicher bekommen und die andere Hälfte für innovative oder stadtteilbezogene Aktivitäten eigens beantragen müssen. (siehe Kasten). Sie klagen über die zusätzliche Arbeit, erfüllen die Auswahlkriterien nicht oder suchen sich andere Geldquellen. Deshalb wurde der Etat des Kulturressorts nicht ausgeschöpft. Die taz sah sich in drei Häusern um: in Vegesack im Norden, in Hemelingen im Süden und in Oslebshausen dazwischen.

In der Sandwüste Hemelingen

1856 war eine glanzvolle Zeit. Die Brüder Wilkens eröffneten eine Silberwarenfabrik, bauten sich drei Villen daneben und legten einen Park an: den Wilkens Park. Seither hat das Gelände einiges mitgemacht. Eine Villa steht zwar nicht mehr, eine zweite wurde zum italienischen Restaurant und der Park dank Hemelinger-Tunnelbau in eine Baustelle verwandelt. Die dritte Villa aber, ein rotes, noch fast original erhaltenes Backsteingebäude, ist heute eines der schönsten Bürgerhäuser Bremens. Geschnitzte Holztüren, spitz zulaufende Fenster, hohe Räume im Erdgeschoss und uralte grüne Kacheln sorgen ideal für nachbarschaftliche Behaglichkeit und Inspiration.

Mit der Eröffnung dieses Hauses sollten die industriegeplagten Hemelinger einst für die Mercedes-Benz-Werke entschädigt werden. Doch ausgerechnet das heutige DaimlerChrysler-Werk treibt das Bürgerhaus indirekt in eine kleine Krise. Noch ein Jahr soll es dauern, bis die 600 Meter Hemelinger Tunnel fertig sind. Die Baustelle verläuft direkt unter Wilkens' Park am Bürgerhaus und den Gebäuden der Silberwarenfabrik vorbei. Während der Bauarbeiten mutierte das oberirdische Gelände zur Sandwüste. Ortsunkundige haben es schwer, den Weg zur roten Villa zu finden. Man gelangt nur noch über eine Nebenstraße, die Diedrich-Wilkens-Straße, zum Bürgerhaus.

Leider lässt nach so langer Bauzeit auch der Zustrom der BürgerInnen des Viertels merklich nach. Dabei hatte die Crew um Geschäftsführer Wilfried Mammes rechtzeitig beschlossen, den normalen Hausbetrieb wie Bildungs- und Kunstkurse, Seminare, Tagungen und Initiativentreffs wegen Baulärms in einen eigens dafür errichteten Container zu verlegen. Bislang funktionierte das zwar, aber offenbar dauert den Leuten diese Übergangsphase einfach zu lange. Mammes und seine Mitarbeiter – zwei Zivildienstleistende und außer ihm noch zwei Festangestellte – thematisieren den Tunnel deshalb, wollen aufklären. Im Eingangsbereich hängen überall Baupläne und Abbildungen rund um das Mammutprojekt. Außerdem finden Infoveranstaltungen zu den unterirdischen Vorgängen statt. Mittlerweile trifft sich sogar regelmäßig eine Gruppe zum „Tunnel-skat“ im kleinen Haus.

Die Hemelinger gehören – vielleicht gerade wegen der Buddelei – zu den fleißigen Antragstellern. Eine „CD für Hemelingen“ ist in Arbeit. Auch ein Ferien-Videoprojekt wurde bereits gefördert. Die Anträge für das laufende Jahr sind fast fertig.

Das 1984 eröffnete Haus ist das jüngste in Bremen. Wie allen Bürgerhäusern steht ihm ein Verein vor. In Hemelingen zählt er rund 70 Mitglieder, darunter auch einige Verbände. Über Mangel an ehrenamtlicher Hilfe kann sich Mammes nicht beklagen. Schließlich greift das Bürgerhaus als soziokulturelle Oase die „Initiativen“ der Anwohner auf. Und die kommen. 20 bis 30 engagieren sich eigentlich immer. Für die Stadtteilzeitung, für das jährlich stattfindende Austauschprojekt mit der arabischen Gemeinde Tamra in Israel oder für die vielen Kleinkunstprojekte, die den BürgerInnen über künstlerische Hemmschwellen helfen soll. Angebote für Kinder, Erwachsene, Senioren werden gleichberechtigt ins Programm aufgenommen. Die angehenden Erwachsenen toben sich im Klubkeller aus.

Größere Einnahmen durch Vermietung oder Gastronomie fallen durch die vielen hauseigenen Events weitgehend flach. Das ist gewollt, heißt doch die Devise: Lieber weniger Geld und dafür mehr BürgerInnenaktivität. Dazu gehört auch, dass das Haus das ganze Jahr über geöffnet ist und den Kindern im Sommer Ferienfreizeitprogramme und -fahrten ermöglicht.

Der Riese in Vegesack

In Vegesack ist das anders. Das Gustav - Heinemann - Bürgerhaus im Bremer Norden kann es sich leis-ten, fünf Wochen im Sommer und zwei Wochen in der Weihnachtszeit zu schließen, obwohl sich vermutlich auch dort Kinder über Ferienangebote freuen würden. Ohne Schwierigkeiten findet man diesen Riesen unter den Bremer Bürgerhäusern. Sogar die Bushaltestelle heißt nach dem Backsteinkoloss.

Über 60 Angestellte werden bezahlt, ein großer Teil der Fläche ist an die Volkshochschule, das Haus der Familie, die Arbeiterwohlfahrt und ungefähr 30 Verbände vermietet. „Wir machen hier enormen Umsatz“, sagt der Geschäftsführer Gerd Meyer, „denn wir verdienen natürlich zusätzlich stark an der Gastronomie, wenn wir Räume für Veranstaltungen vermieten.“ Das Programm des Bürgerhauses speist sich vor allem aus Angeboten, die von Verbänden und Vereinen kommen, die sich dort treffen.

Die Selbstvorstellung im Internet erinnert an einen Werbeprospekt für ein Tagungshaus. Konferenzräume für Fachtagungen und Messe, Kegelbahnen, aber auch Sommerbühne und ein Buchungsservice stehen zur Verfügung. Dem Kulturressort reichen die Veranstaltungen, die das Bürgerhaus selbst macht, aber so nicht aus. Im vorigen Jahr gingen von dort zwar Anträge ein, wurden aber wegen fehlender Innovation abgelehnt. „Die wollten Geld für Sachen, die nicht neu waren“, sagt die Politikerin Carmen Emigholz. Meyer sagt: „Wir haben immer auch andere Geldquellen gehabt, die werden wir natürlich jetzt weiter und verstärkt nutzen.“

Oslebshauser Gewinner

Mit acht beantragten und bewilligten Projekten gehört das Bürgerhaus Oslebshausen zu den Gewinnern der zum Teil auf Projektförderung umgestellten Programmmittelvergabe. Ein Hörspiel, verschiedenste Theaterprojekte wie das „Theater der Erfahrung“ liefen erfolgreich, sagt Geschäftsführer Ralf Jonas. Er kann mit einen festen Stamm von 100 HelferInnen rechnen. Hauptsächlich Eltern engagieren sich, denn Oslebshausen hat sich bewusst den Schwerpunkt Kinder- und Jugendarbeit gesetzt.

Jonas findet es aufwändiger, jetzt plötzlich Anträge stellen zu müssen. Obwohl auch dieses Haus ähnlich wie Hemelingen eher klein ausfällt und rechnerisch sechs Stellen Hausbetrieb managen, ist das Haus die „Informationsdrehscheibe des Ortes“. Kinderbetreuungsräume, ein großer Spiel- und Sportplatz, Bastelstube und Elternraum, ein Saal, den Jonas bald umbauen will – alles ist liebevoll eingerichtet.

Auch hier finden vorrangig eigene Veranstaltungen statt, „die durch die Mund-zu-Mund-Propaganda immer gut besucht sind“, meint Jonas. Probleme bereitet der seiner Meinung nach schlechte Gastronomiestandard. Mit einer Umgestaltung des Eingangsbereiches soll alles ein bisschen gemütlicher werden. Überhaupt sieht er optimis-tisch in die Zukunft. „Der politische Wille ist da, wir kommen klar, aber mehr Kürzungen würden unsere Existenz gefährden.“ Doch Jonas hat schon jede Menge Ideen, damit sein kleines und reges Bürgerhaus auch weiterhin von der neuen Projektförderung profitiert.

Maria Hufenreuter

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