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Die Zukunft der Konsole

Die Transzendierung des Computerspiels vom Kinderspielzeug zum modernen Mythos: Andreas Lange hat in Berlin ein Computerspielemuseum gegründet. Geld und Sponsoren aber fehlen noch

von SEBASTIAN HANDKE

Die Musealisierung von Jugendkultur ist kein neues Phänomen mehr. Pop ist mit seinen Protagonisten Teil des Establishments geworden, und meist sind es ehemalige Szenemitglieder, die die Verwaltung des kulturellen Erbes in ihre Hände nehmen. Doch manchmal gibt es auch Ausnahmen. Andreas Lange ist zuständig für das Berliner Computerspielemuseum. Aber ein Nerd war er nie. Jegliche Freak-Vergangenheit geht ihm ab. Eigentlich ist er Religionswissenschaftler, und als solcher schrieb er seine Magisterarbeit über das Computerspiel. Von den Evaluierungen der Erziehungswissenschaftler einmal abgesehen, war damals das Feld der Computerspiele wissenschaftlich nur spärlich bestellt. Langes Ehrgeiz galt der Transzendierung des Computergames vom Kinderspielzeug zum modernen Mythos – Space Invaders ernst genommen. Von seiner These hält er heute nicht mehr so viel, doch er besteht darauf, dass es ihm auch heute noch um „die einführende Fragestellung“ geht, und dass „das mal ernst genommen wird“. Die Strategie dafür liegt auf der Hand: kulturelle Legitimation durch Kanonisierung und Archivierung. Zurzeit allerdings besteht das Museum für rechnergestützte Spiele lediglich aus zwei Lagerräumen in Mitte und Hellersdorf. Beim Ortstermin mühen wir uns zwischen übervollen Regalen und staubigen Kisten durch die Bestände eines fensterlosen Ramschladens, den man ohne seine Museumsweihe eher meiden würde. Im Spielespeicher stapeln sich Computer, Kabel, Konsolen und Tastaturen – Patina sorgt für antiquarisches Flair. Andreas Lange zieht den Vectrex aus dem Regal und gibt eine kleine Lektion in Sachen Computerspielegeschichtsschreibung.

Dieser monochrome, DIN-A4-formatige Bildschirm brachte Ende der 70er die Vektorgrafik aus den Spielhallen ins Wohnzimmer und sorgte so für einen regelrechten Spieleboom, der 1984 durch einen ebenso regelgerechten Crash jäh zu Ende gebracht wurde. Trittbrettfahrer hatten den Markt mit schlechten Spielen überschwemmt, die Verunsicherung der Konsumenten ließ ihn vollkommen einbrechen. Zudem hielt mit den ersten PCs auch die Raubkopie Einzug. Nur ein Hersteller glaubte damals noch an die Zukunft der Konsole: Nintendo monopolisierte den Spielemarkt.

Erstes Basiswissen erhielt Andreas Lange bei seinen Spiele-Sichtungen für die „Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle“ (USK), das Pendant zur FSK. Aber Jugendschutz ist nicht wirklich cool. Und als deren Träger, der Förderverein für Jugend und Sozialarbeit, den Entschluss fasste, den Jugendschutzauftrag der USK durch ein Bildungsprogramm zu ergänzen, schlug Andreas Lange sich flugs ins Lager der Kuratoren. Zu dieser Zeit war keine Hardware vorhanden, und so begab sich Herr Lange – ausgestattet mit einem kleinen Budget – auf die Flohmärkte, um die nötige Ausstellungsmasse heranzuschaffen. Und erst hier, „in den Gesprächen“, habe er sich „wirklich gebildet“. Mit nur einer ABM-Stelle und einem Praktikanten zum eigenen kleinen Museum, von dem auch das Wall Street Journal nur Positives zu berichten weiß – ein wahrhaft erfolgreiches Start-up.

Dennoch war es von Beginn an schwierig, den Senat für das Vorhaben zu gewinnen. Von Radunski erhielt Lange gleich zweimal den Bescheid, dass es „mit Ihrem Sujet“ doch keine Schwierigkeiten geben dürfte, Sponsoren zu finden. Aber das Interesse der Industrie ist bis jetzt eher gering. Besonders erwähnenswert: die Nutzung des Museums als Entsorgungsplatz für Altlasten. Kaum zu glauben, dass sich die sonst so ausstellungsfreudigen Sony oder Siemens nicht längst der Sache angenommen haben. Schuld daran ist sicher auch ein gewisser Mangel an Akquisetalent auf Seiten des Museums. Deutschland ist zwar der zweitgrößte Markt für Computerspiele weltweit, doch es gibt hierzulande keine großen Produzenten. Das Geld für „kulturelle Ausgaben“ verteilen die Mutterhäuser in Japan oder den USA, und deren Vertreter hier in Deutschland sind Verkäufer ohne Sinn für Investitionen, die sich nicht sofort in steigenden Verkaufszahlen ausdrücken lassen. Das soll sich jetzt ändern.

In Christoph Stölzl als Kultursenator hat das Museum nun doch einen Ansprechpartner gefunden, der bei der Vermittlung von Sponsoren helfen wird. Zusätzlich soll ein Förderverein, später eine Stiftung gegründet werden. Und Pläne, für die Geld gebraucht wird, gibt es genug.

Das Museum – seit Dezember wegen Geldmangels geschlossen – möchte Ende 2002 mit einer selbstbewussten Ausstellungsfläche von 2.000 Quadratmetern wieder an die Öffentlichkeit treten. Im selben Jahr soll es zum dreißigsten Geburtstag des Game-Klassikers „Pong“ ein Pong-Event mit Kunst, Ausstellung und Kongress geben. Noch diesen Sommer werden das angegliederte Softwarearchiv und die ZLB gemeinsam die weltweit erste Präsenzbibliothek für Computerspiele eröffnen.

Die Idee des Computerspielemuseums, so Lange, wird sich überall in der Welt etablieren. Sich selbst sieht er mit seiner wohl einmaligen Sammlung, der dreijährigen Expertiseerfahrung und dem Know-how-Vorsprung schon als das international gefragte Competence-Center für Museumsfragen.

Gerade hat er, um das Projekt zu retten, seine ABM-Stelle zur Verfügung gestellt und kümmert sich nun ehrenamtlich um die Bestände, bis das Museum wieder öffnen kann. „Und das wird es auch, da bin ich mir sicher“ – sagt er dann noch und wirkt ein bisschen wie ein König ohne Land.

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