: Die unglaubliche Erotik dieses Zeitalters
■ Mozarts Zeitgenossen hielten die Oper „Così fan tutte“ für ein elendes Machwerk. Der Regisseur Anthony Pilavachi sieht darin eine vorfreudianische Bearbeitung des Themas Schuld. Jetzt inszeniert er das Singspiel am Bremer Theater
Für sein munteres Singspiel „Cosi fan tutte“ musste Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) richtig einstecken. Und auch postum wuchs der Stapel an Verrissen in den Archiven der MusikwissenschaftlerInnen weiter. „Es ist“, schrieb das viel gelesene „Journal des Luxus und der Moden“ 1792, „wahrlich zu bedauern, dass unsere besten Komponisten meist ihr Talent an jämmerliche Sujets verschwenden. Gegenwärtiges Singspiel ist das albernste Zeug von der Welt.“ Und Georg Nikolaus Nissen, den Wolfgangs Witwe Konstanze Mozart geheiratet hatte, urteilte in seiner Mozart-Biographie: „Man muss sich fast wundern, wie Mozart sich herablassen konnte, an ein so elendes Machwerk seine himmlischen Melodien zu verschwenden.“ Dieser Satz kann geradezu beispielhaft für die gesamte „Cosi fan tutte“-Rezeption des 19. Jahrhunderts stehen. Noch heute provoziert die Unwahrscheinlichkeit der Story ebenso wie ihre Frivolität – die einsame und unsterbliche Größe der Musik ist jedoch längst erkannt. Am Bremer Theater inszeniert zurzeit der irische Regisseur Anthony Pilavachi das Werk, dessen ganzer Titel „Così fan tutte o sia la scuola degli amanti“ (So machen es alle oder Die Schule der Liebenden). Nach anfänglicher Skepsis ist Pilavachi, der mit dieser Arbeit sein Bremer Debut gibt und zuvor schon in Hamburg oder Berlin inszenierte, begeistert von dieser Oper.
taz: Herr Pilavachi, wie erklären Sie sich das Uraufführungsurteil, das sich im ganzen neunzehnten Jahrhundert so hartnäckig gehalten hat? Noch in unserer Zeit ist es präsent, wie Sie selber das Stück anfangs ja auch abgelehnt haben.
Anthony Pilavachi: Es ist ein präfreudianisches Stück. Und das stört. Bis heute. In Bezug auf Moral, auf das Frauenbild. Ich bin übrigens der Meinung, dass alle drei Männer Mozart sind und alle drei Frauen seine Frau Konstanze. Stark ist jedenfalls, dass das Hauptthema Schuldgefühle sind, die alles andere auslösen.
Beziehen Sie sich darauf, dass Mozart in dieser Zeit sehr eifersüchtig war, selber auch vielleicht immer noch die Schwester seiner Frau geliebt hat und die Bettelbriefe um Geld an den Grafen Puchberg geschrieben hat?
Genau. Auf jeden Fall wollte er die Männer als Täter darstellen. Die sind so eitel, dass sie nicht in der Lage sind, eine eigene Schuld zu erkennen.
Ist „Così fan tutte“ eine antizipierte Kritik an der rigiden Moral des aufkommenden Bürgertums?
Wir spielen das Stück heute. Ich meine aber, Mozart macht einen Abschlussbericht über das 18. Jahrhundert. Er erzählt von einer Gesellschaft, die mit dem 18. Jahrhundert an ihr Ende kam. Es ist eine Parabel über die unglaubliche Erotik dieses Zeitalters. Und: Die Frauen sind unglaublich respektiert, es sind – wie heute – vollkommen unabhängige Frauen.
Sie wollen sagen, die Frauen werden nicht verführt, sondern sie handeln?
Unbedingt. Mozart und sein Librettist Lorenzo da Ponte stellen die Frauen in den Mittelpunkt. Im Vergleich zum 19. Jahrhundert, in dem die Porzellanpüppchen im Salon standen, sind diese beiden nicht Opfer, sondern selbst schuld an dem, was sie da anrichten.
Gibt es eine produktive Diskrepanz im Text-Musik-Verhältnis?
Es ist ein spektakulärer Text: Alles ist doppelbödig und voller erotischer Anspielungen und Deutlichkeiten. Man spielt etwas vor und man meint etwas anderes. Das macht dann auch noch einmal die Musik.
Sie sagten, Sie siedeln das um 1790 spielende Stück im Heute an. Wo und wie?
Es ist eine Ferienvilla auf einer südlichen Insel, die Alfonso gehört. Er lockt die Protagonisten in einen Urlaub, um sein zynisches Spielchen zu treiben. Man muss aber die sozialen Ebenen einhalten: Dorabella und Fiordiligi sind reich, die beiden Männer nur schön und attraktiv.
Von Fiordiligi wird ja immer gesagt, sie sei die Standhaftere. Wenn man aber ihre Musik mit der von Dorabella vergleicht, also ihre barocke Metaphorik gegen die aufgelösten Formen Dorabellas, auch ihr falsches Pathos in der Eumeniden-Arie setzt, dann könnte man ja auch sagen, dass Fiordiligi ihre bürgerliche Erziehung sehr viel stärker verinnerlicht hat?
Richtig, aber viel mehr als das: Es gibt im Urlibretto vier Zeilen von da Ponte, die später gestrichen wurden. Sie hat Angst vor der jähzornigen Gewalttätigkeit von Guglielmo, der plump, narzisstisch, ganz einfach ein Macho ist. Deswegen ist ja ihre Begegnung mit dem sensiblen und feinfühligen Ferrando so endgültig.
Despina ist in traditionellen Inszenierungen eine lustige und leichtlebige Person, die ihren Herrinnen rät, die Zeit der Abwesenheit ihrer Verlobten doch zu genießen. Gibt Despina aber nicht vielmehr bittere Lebenserfahrungen weiter, die sie mit Männern und Arbeitgebern gemacht hat?
Ja. Sie ist bei mir kein junges Mädchen. Sie hat schlechte Erfahrungen gemacht, sie ist traurig und verletzt. Aber sie ist menschlich geblieben, und das benutzt Alfonso. Alfonso seinerseits liebt nur sich selbst. Er ist ein raffinierter Menschenfeind, der dem Zeitgeist nach mit Menschen experimentiert – denken Sie nur an die „Gefährlichen Liebschaften“ von Choderlos de Laclos. Fragen: Ute Schalz-Laurenze
Premiere am 12. April um 19.30 Uhr im Theater am Goetheplatz.
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