: Also sprach der Oberförster
■ Ohne Wald wäre Oldenburg wohl weggeweht / Die kuriosesten Bücher der Welt – heute: Die Oldenburgische Försterchronik
Adolf Christian Freiherr von Stralenheim war ein vorausschauender Mann. Bereits im Jahr 1780 erstellte der königlich hannoversche Oberforstmeister im Auftrag seines Herrn einen langfristigen Forstbenutzungsplan. Nicht bis zum Jahr 1830, nicht bis 1880, nein: bis ins beinahe noch gegenwärtige Jahr 1980 sollte er Geltung haben. Bäume, wusste der Freiherr von Stralenheim, wachsen eben langsam, doch sie sind schnell geschlagen. Deshalb müssen sie gehegt und vor Waldverwüstung geschützt werden. Zu diesem Zwecke hat das deutsche Staatswesen den Berufsstand des Waldhüters, Försters und Forstmeisters hervorgebracht. Es ist ein eigenartiger Menschenschlag, den uns der Autor, pensionierte Forstoberamtsrat und Ehrenvorsitzende der FDP im Bezirk Oldenburg in Oldenburg, Eilert Tantzen, jetzt umfassend am Beispiel des ehemaligen Freistaates Oldenburg näher bringt.
Ohne Förster wären weite Landstriche zwischen Saterland und Delmenhorst-Adelheide vermutlich einfach weggeweht. Denn wie Eilert Tantzens „Oldenburgischer Försterchronik 1650-1950“ sozusagen zwischen den Zeilen zu entnehmen ist, handelt es sich bei der Beschreibung Deutschlands als natürlich dicht bewaldete Landschaft zumindest im Oldenburgischen um ein Märchen. Flugsand war in der Heidelandschaft zwischen Varel-Obenstrohe und Damme um 1700 eine derartige Plage, dass die Regierung Friedrichs IV. von Oldenburg 1708 eine Verordnung zu seiner Dämpfung erließ. Darin wird den Eingesessenen von Munderloh, Kirch- und selbstverständlich auch Sandhatten befohlen, Wehsände zu bepflanzen. Waldstückchen und Wälder wuchsen, wo einmal Sandlöcher, Dünen und die in dieser Gegend Berge genannten Hügel waren. Dank der Försterei wachsen sie noch heute – teilweise sogar in Urwäldern wie dem Hasbruch bei Delmenhorst.
Mit einer geradezu schonungslosen Liebe zum Detail begibt sich der nach eigenen Angaben aus einem friesischen Häuptlings- und Bauerngeschlecht stammende Eilert Tantzen auf die Spuren sämtlicher Förster, Forstmeister, Oberforstmeister, Holzwärter, Wildschützen und Wilddiebe-Jäger seit 1650. So sind 300 der knapp 420 Seiten dieses laut Vorwort unverwechselbaren und einmaligen Werkes Kurzbiographien von Forstamtsleitern im Freistaat Oldenburg gewidmet, zu dem in wechselvoller Geschichte bis 1937 zeitweise auch die Landesteile Lübeck nördlich der alten Hansestadt und Birkenfeld in der Pfalz gehörten.
In Wort und Bild begegnen dem Leser eigenartige Gestalten. Männer mit Bärten bis zum Bauchnabel, mit galanten und fantastischen Uniformen und einer nicht seltenen Ähnlichkeit zu Melvilles Kapitän Ahab kümmerten sich um Oldenburgs Forste, bis für sie selbst das letzte Halali erklang und sie in die ewigen Jagdgründe gingen.
Neben dem vorausschauenden Freiherr von Stralenheim (1717-1782) war unter ihnen auch Carl Friedrich Pauly (1824-1910). Über ihn notiert Tantzen unter der Rubrik Besonderheiten, dass er in seiner 50-jährigen Dienstzeit nur ein einziges Mal um Urlaub gebeten habe. Im Wald wird der Beruf zur Passion. Denn wie heißt es noch im alten Jägerlied: „Der Wald ist Gottes Haus, da weht sein starker Odem lebendig ein und aus.“ Und manchmal durchstreift ihn auch ein Wolf. Den letzten Wolf des Jeverlandes brachte Anton Richter (1700-1772) anno 1738 mit zitternder Hand zur Strecke. Den letzten Wolf des Hasbruchs erlegte Holzvogt Hermann Heinrich Brandt (1690-1745) zwei Jahre später.
Ansonsten beschäftigten sich die Förster mit Disputen über Rohhumus oder mit einer Plünderung durch französische Soldaten, die Johann Justus Wilhelm Otto (1802-1859) um eine Zuckerzange, drei Frauenkleider, ein Fuder ungedroschenen Buchweizen und andere Gegenstände im Wert von 611 Reichstaler ärmer machte. Gelegentlich, warnt schon die „Vorbemerkung der Schriftleitung“, erscheine die Lektüre etwas trocken. Das ist wahr, aber bei den kuriosesten Büchern der Welt ein Lob. ck
Eilert Tantzen: „Oldenburgische Försterchronik 1650-1950“, Isensee-Verlag Oldenburg, 48 Mark
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen